Carbon Prestressed Concrete (CPC)

Betonelemente neu denken

Elemente aus sogenanntem «Carbon Prestressed Concrete» (CPC) sind filigran, trotzdem halten sie höchsten Belastungen stand. Die Technologie, bei der Fasern aus Carbon innerhalb des Betons vorgespannt werden, ist eine Schweizer Erfindung. Eine, die derzeit in ihrer Anfangsphase auf dem Markt steht und laut Experten grosse Chancen für das Bauen der Zukunft mit sich bringt.

Platten aus CPC-Beton werden mit Carbonfasern bewehrt und für die gewünschte Anwendung passend zugeschnitten.

Geht es um neue Entwicklungen in der Betonbranche, stehen stets deren Vorteile im Vordergrund. Sogenannter CPC-Beton hat gleich vier davon. Er ist stabil, leicht, nachhaltig und langlebig. Vor allem die letzte der vier Eigenschaften hat es in sich – gerade dann, wenn auch ein Nachteil ins Spiel kommt. «Zwar ist die Herstellung einer CPC-Platte kostenintensiver als diejenige eines klassischen Betonelements, denn die Fasern haben ihren Preis», sagt Christophe Berset, Head of New Solutions bei Holcim Schweiz, der an der Industrialisierung und Vermarktung des Hochleistungswerkstoffs mitgewirkt hat. «Da CPC aber widerstandsfähiger ist als stahlbewehrter Beton, können die Elemente um Jahrzehnte länger genutzt werden. Das ist finanziell interessant.» Eine aussagekräftige Gegenüberstellung der Kosten, zum Beispiel von klassischem Hochbaudecken und CPC-Deckensystemen, ist gemäss Christophe Berset allerdings kaum möglich. «Weil es ein ziemlich neues Produkt ist, gibt es erst wenige Vergleichsmöglichkeiten, und man muss immer das ganze Tragwerksystem betrachten – die Leistung und die Vorteile, die es zusätzlich bietet. Diese sind sehr viel wert.»

Vorgespannte Fasern mit Betonmix

Die Abkürzung CPC bedeutet «Carbon Prestressed Concrete». Dieser wird in der Vorproduktion in Plattenform hergestellt und anschliessend mit CNC-gesteuerten Maschinen in beliebige Formstücke geschnitten. Bei der Produktion spannt man die dünnen Fasern aus Carbon kreuzweise vor und giesst anschliessend den Schalungstisch mit einem Betonmix aus. Es handelt sich also um armierten Beton, aber ohne Stahl, was Gewicht und Ressourcen spart. «Carbon hat hohe Zugfestigkeiten und korrodiert nicht», erklärt Christophe Berset. «Daher können wir damit extrem tragfähige und doch relativ dünne Platten herstellen.»

Die Entwicklung von CPC begann vor über zehn Jahren als Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur und der Silidur AG aus Andelfingen. Unterdessen wurde das Produkt in den Markt eingeführt. Beim Bau von Velo- und Fussgängerbrücken, Treppenstufen, Balkonen, Belägen und Aussenwandbekleidungen kommt der carbonbewehrte Beton immer wieder erfolgreich zur Anwendung. CPC-Platten eignen sich gemäss Christophe Berset hauptsächlich für die Vorproduktion und für flache, tragende Betonteile. Für gerundete Objekte wie Rohre kann CPC nicht verwendet werden, denn die Fasern müssen flach liegen, um ihre volle Kraft entfalten zu können.

Besondere Projekte mit CPC

Das Leuchtturmprojekt «Bridge to the Future» von 2021 gilt als zukunftsweisend in Sachen Klimafreundlichkeit. Die leicht wirkende und zugleich funktionale Plattform für die Annahme von Aushubmaterial steht auf dem Areal des Holcim-Werks im zürcherischen Hüntwangen. Verbaut wurden vorgespannte Carbonlitzen sowie eine Kombination von klinkerfreiem Zement in hochfestem Beton, was gemäss heutigem Stand maximal CO2-reduziert ist. Holcim hat das Bauwerk in Zusammenarbeit mit der ZHAW und der CPC AG realisiert.

Im Mai 2024 wurde neben der Grossbaustelle Querung Grüze in Winterthur das Innovationslabor Grüze eröffnet. Es dient als Besucher*innenzentrum für die neu entstehende ÖV-Drehscheibe und als vielseitig nutzbarer Begegnungsort, zu dem auch ein Café gehört. Der offene Pavillon besteht aus extradünnen und wiederverwertbaren CPC-Platten. Entstanden ist das Innovationslabor Grüze aus einer Kooperation heraus, an der Holcim, die ZHAW und die Stadt Winterthur beteiligt waren.

Visualisierung des Innovationslabors Grüze, Copyright: Katharina Bayer

Zirkularität übertrifft Recycling

Die Holcim Schweiz gehört hierzulande zu den führenden Unternehmen im Bereich Carbonfaserbeton. Auch Clemens Wögerbauer, Head Commercial bei Holcim Schweiz, war und ist an Projekten mit dem neuen Werkstoff beteiligt und stolz darauf, dass es sich hierbei um eine Schweizer Erfindung handelt. «Mit CPC können wir Beton völlig neu denken», sagt er begeistert. Denn neben Pluspunkten bei der Herstellung bringe die neue Technologie auch etliche positive Aspekte für die Nutzung und den Rückbau mit sich. «Während klassische Betonteile für die Weiterverwertung zerkleinert werden müssen, lassen sich CPC-Elemente mit wenig Aufwand neu zuschneiden», erklärt er. Die Zirkularität sei noch zukunftsträchtiger als das Recycling, da sie neue Möglichkeiten mit sich bringe. «Aus rückgebauten Elementen kann mit überschaubarem Aufwand etwas Neues entstehen, und das ist effizient.»

Kommerzialisierung dank weiterer Forschung

Wie Clemens Wögerbauer weiter ausführt, sind CPC-Platten für eine Lebensdauer von über 100 Jahren zugelassen. Dies im Gegensatz zu stahlarmiertem Beton, bei dem mit 50 bis 80 Jahren gerechnet wird. «Das hat damit zu tun, dass klassische Betonfertigteile stärker unter Korrosion leiden als solche aus CPC», sagt er. «Bei CPC treten seltener Schäden auf, daher kann das Produkt auch bezüglich Wartungsaufwand überzeugen.» Der Experte hebt hervor, dass sich die CPC-Technologie gut mit anderen Massnahmen zur CO2-Reduktion kombinieren lassen. «Beim Betonmix geht es gut ohne Klinker», verrät er als Beispiel.

Auch wenn CPC-Betonfertigteile nun auf dem Markt bereits erhältlich sind und es Firmen wie die CPC Solutions AG gibt, die solche Produkte zu ihrem Portfolio zählen, geht die Forschung weiter. Holcim Schweiz investiert in die Weiterentwicklung des Werkstoffs, damit dieser weiter kommerzialisiert und noch bekannter wird. Und sowohl Clemens Wögerbauer als auch sein Kollege Christophe Berset sind überzeugt: «Die CPC-Technologie hat grosses Potenzial für die Zukunft.»

Ein fertiges Betonelment aus CPC-Platten wird direkt auf der Baustelle auf dem Holcim-Areal in Hüntwangen montiert.
3D-gedruckte Betonelemente

Baustellenbesuch beim Weissen Turm in Mulegns

Im bündnerischen Dorf Mulegns entsteht derzeit das grösste digital gedruckte Bauwerk der Welt: der Weisse Turm. Dessen Elemente aus Beton hat die ETH Zürich im 3D-Druckverfahren vorproduziert. Der Bauplatz kann zwischen Juli und Oktober 2024 im Rahmen eines Kombiangebots besichtigt werden.

Imposant und innovativ: So soll der Weisse Turm in Mulengs dereinst aussehen.

Der Aufbau des 3D-gedruckten Weissen Turms in Mulegns ist derzeit im Gange. Wer einen Blick auf das aussergewöhnliche Geschehen im Kanton Graubünden werfen möchte, an dem die ETH Zürich und die Stiftung Origen beteiligt sind, kann zwischen dem 1. Juli und Mitte Oktober 2024 an einer Bauplatzbesichtigung teilnehmen. Für den Besuch gibt es ein Kombiticket. Dieses umfasst die Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ab allen Haltestellen in Graubünden nach Mulegns und zurück, den Besuch der Filmvorführungen und der digitalen Ausstellung sowie eine kleine Baustellenmahlzeit. Für Gäste aus dem Unterland gilt das Angebot ab und bis Landquart. Die Tickets können hier reserviert und gekauft werden.

Neue Möglichkeiten erleben – real und digital

In Mulegns werden nun verschiedene Vorbereitungen getroffen, um den Weissen Turm auf vielfältige Weise zu präsentieren. «Der Garten des neu eröffneten Hotel Löwe erlaubt einen umfassenden und sicheren Blick auf den Bauplatz und die ‹fliegenden› Säulen, die mittels eines hohen Kranes auf die Baustelle gehievt werden», teilen die Projektverantwortlichen der Stiftung Origen mit. Zudem weisen sie darauf hin, dass in der nahen Kutschenremise einige digitale Filminstallationen eingerichtet werden, die den Bauprozess begleiten. Sie zeigen laut Angaben der Veranstalter die neuen Möglichkeiten digitaler Bildwelten. Die Baumodelle des Weissen Turmes zeigen die Entwicklung des höchsten digital gedruckten Bauwerks, das es derzeit gibt.

Bauwerk wird im September eingeweiht

Ursprünglich wäre die Eröffnung des auch «Tor Alva» genannten Bauwerks aus Beton diesen Frühsommer geplant gewesen, nun hat sie sich auf Ende September 2024 verschoben. Die Vertretenden der Stiftung begründen dies mit einer konsequenten Verschlankung der Statik und der Reduktion des Materialverbrauchs. Beides habe nach weiteren Testreihen verlangt, die erfolgreich verlaufen seien und das Gewicht des Turmes weiter verringerten. «Die Verankerung des Turms im denkmalgeschützten Bestand und unerwartete natürliche Asbestvorkommen im Untergrund des Turmes haben die Fundamentierung verzögert. Das Zusammenfügen, der Transport und die Montage der Säulen sind hochkomplexe Herausforderungen, für die es keine Erfahrungswerte gibt», teilt Origen mit. Die weiteren Informationen zur Eröffnung und Einweihung des Turms folgen im Verlauf dieses Sommers.

Zum Ticketshop von Origen Festival Cultural geht es hier.

Ausgezeichnet

ETH-Betonkanu gewinnt Bronze für innovative Konstruktion

An der Betonkanu-Regatta im deutschen Brandenburg an der Havel wurde eines der an der ETH Zürich gefertigten Boote mit der Bronzemedaille in der Kategorie «Konstruktion» ausgezeichnet. An diesem Grossevent, der Mitte Juni 2024 stattgefunden hat, waren rund 1000 Studierende aus ganz Europa dabei. Neben dem sportlichen Wettkampf sind auch bauliche und wissenschaftliche Kriterien in die Bewertung eingeflossen.

Für die Studierenden vom Betonkanu Verein der ETH Zürich war die Regatta in Deutschland eine wertvolle und lehrreiche Erfahrung.

Für Fachkreise gehört die deutsche Betonkanu-Regatta längst zu den Fixpunkten im Jahresablauf – auch hier bei GRAU wurde über über die Vorbereitungen berichtet. Bereits zum 19. Mal hat dieser von der deutschen Zement- und Betonindustrie veranstaltete Anlass kürzlich stattgefunden. 133 Teams aus 43 Institutionen, 66 Kanus der Wettkampfklasse sowie sieben Boote der Offenen Klasse gingen an den Start. Mit dabei war auch ein Team aus der Schweiz, das mit zwei selbst geplanten und eigenhändig gebauten Booten vertreten war. Für die Mitglieder des Betonkanu Vereins der ETH Zürich war die Teilnahme einmal mehr ein Erfolg. Denn neben schönen Erinnerungen, fachlichem Austausch und neuen Freundschaften bringen die jungen Leute eine Bronzemedaille mit nach Hause. Eines ihrer zwei Kanus, das den Namen «Vera VErTHo» trägt, hat diese Auszeichnung für seine hervorragende Konstruktion erhalten. Entstanden ist es im Rahmen einer Bachelorarbeit. Das Besondere daran ist: «Vera VErTHo» besteht aus 13 Einzelteilen, die man kurzer Zeit auf- und abbauen kann und die zugleich als Möbel zum Einsatz kommen können, zum Beispiel als Sitzflächen von Stühlen.

Innovation vor Schnelligkeit

«Es ist nicht selbstverständlich, dass unsere kreativen und einzigartigen Kanus die Regatta heil überstanden haben», erklärt Tiziano Verasani. Der ETH-Student ist seit mehreren Jahren im Verein aktiv und hat schon einige Events dieser Art miterlebt. Andere Mannschaften hätten erfahren müssen, dass die Boote den Strapazen im Ernstfall nicht immer standhalten können. Die Kanus der ETH aber haben den 200 Meter langen Slalom mit Bravour gemeistert. «Wir waren zwar nicht die schnellsten, jedoch konnten wir die Fachjury mit ‹Vera VErTHo› von unserer Innovationskraft überzeugen», freut sich Tiziano Verasani. Dass der Betonkanu Verein der ETH Zürich im Zeitwettkampf sowohl mit dem Frauen- als auch mit dem Männerteam in der Vorrunde ausgeschieden ist, bedauert der Student zwar. Dennoch ist sein Fazit positiv: «Wir haben in Brandenburg viele inspirierende Momente erlebt, die uns bereits jetzt zur Teilnahme an der Betonkanu-Regatta im kommenden Jahr motivieren.» Hierfür beginnen die Vereinsmitglieder schon bald mit der Planung und dem Bau von neuen Booten.

Die Ranglisten der Betonkanu-Regatta 2024 sind hier ersichtlich.

Ein Projekt, das Wissenschaft und Sport verbindet

ETH bringt Beton zum Schwimmen

Die deutsche Zement- und Betonindustrie veranstaltet Mitte Juni 2024 bereits zum 19. Mal eine Betonkanu-Regatta. Am Event in Brandenburg werden rund 1000 Studierende aus ganz Europa erwartet, die in ihren selbst gebauten Booten auf der Havel um die Wette paddeln. Mit dabei ist auch ein Team der ETH Zürich.

Mit ihrem selbst geplanten und gebauten Kanu aus Beton nimmt eine Gruppe von ETH-Studierenden an einer besonderen Regatta in Deutschland teil.

Technisches und handwerkliches Können sowie Ausdauer und Teamgeist – das alles braucht es, um an der Betonkanu-Regatta vorne mitzufahren. Die rund 50 Mitglieder des Betonkanu-Vereins der ETH Zürich bringen sämtliche Voraussetzungen mit. Einmal mehr haben sich die Studierenden aus der Schweiz mit ihren selbst gebauten Booten für den aussergewöhnlichen Wettkampf angemeldet, der dieses Jahr am 15. Juni in Brandenburg an der Havel stattfindet. An der Betonkanu-Regatta in Deutschland können Gruppen von Hochschulen und andere Institutionen teilnehmen, an denen das Fach Betontechnik gelehrt wird. Die Aufgabe besteht darin, ein stabiles und leichtes Boot zu konstruieren, das ohne zusätzliche Beschichtung wasserdicht ist und gut gelenkt werden kann. Prämiert werden zudem die Kreativität, Innovation und Nachhaltigkeit, was dazu führt, dass sich die Kanus jeweils in allen erdenklichen Ausführungen und Formen zeigen. Daneben ist der Anlass für die jungen Fachleute auch eine gute Möglichkeit, um sich zu vernetzen und auszutauschen.

«Schwimmender Beton, dieser Widerspruch ist faszinierend.»

Tiziano Verasani,
Mitglied des Betonkanu-Vereins der ETH Zürich

Sport und Wissen optimal kombiniert

«Schwimmender Beton – auf den ersten Blick ein Widerspruch, und genau das ist aus meiner Sicht das Faszinierende daran», sagt Tiziano Verasani von der ETH, der sich seit drei Jahren im Betonkanu Verein engagiert. Ihm und seinen Kolleg*innen sei es wichtig, die im Studium gelernte Theorie praktisch umsetzen zu können. Die erfahrenen Studierenden teilen ihre Kenntnisse mit jenen, die neu eingestiegen sind. «Wir alle lernen stetig dazu und können die vielen Möglichkeiten, welche das Material Beton uns bietet, anhand eines konkreten Beispiels erfahren.» Ein weiterer Pluspunkt des Projekts ist laut Tiziano Verasani der sportliche und spielerische Aspekt beim Paddeln. Er sagt: «Die Trainings, die wir unter Anleitung eines Kanu-Experten absolvieren, machen immer grossen Spass.»

Kanu-Taufe an Land statt im Wasser

Derzeit laufen an der ETH die letzten Vorbereitungen. Am 31. Mai hat die Taufe der beiden neu erstellten Boote stattgefunden, sie heissen nun «AprETHski» und «Vera VErTHo». «Nach fast einem Jahr Projektarbeit war das ein wichtiger Moment für uns», sagt der Student. Allerdings sei das ursprünglich vorgesehene Programm ins Wasser gefallen. Eigentlich wäre vorgesehen gewesen, die zwei Kanus anlässlich der Taufe erstmals draussen zu testen, in einem Teich auf dem Campus der ETH. Doch aufgrund der aktuellen Regenperiode sei das leider nicht zustande gekommen, bedauert Tiziano Verasani. Die Präsentation fand schliesslich auf dem Areal der ETH Hönggerberg im Trockenen statt, ergänzt mit einer Ausstellung. Zahlreiche Fachpersonen sowie Medienschaffende und Sponsoren waren anwesend, um mehr über die Herstellung der Boote und die damit verbundenen wissenschaftlichen Hintergründe zu erfahren.

Ähnlich und doch ganz verschieden

Die neuen Boote der ETH umfassen je zwei Plätze, und beide sind wie vorgeschrieben aus Beton. In jedem Fall dauerte das Aushärten rund einen Monat. Doch die Entstehungsgeschichten und Merkmale der zwei Kanus sind völlig unterschiedlich. Eines bauten die Vereinsmitglieder in ihrer Freizeit, das andere entstand im Rahmen der Bachelorarbeit mehrerer ETH-Absolventen. Beim in der Freizeit erstellten Boot liegt der Fokus auf der Nachhaltigkeit. Tiziano Verasani erklärt: «Die Herausforderung bestand darin, möglichst wenig Baustoff zu verwenden. Zudem war es uns wichtig, wo immer möglich mit wiederverwerteten Materialien zu arbeiten.» Ausserdem habe man mit Leinennetzen und der Verwendung von Skistöcken experimentiert. Als Schalung wurde ein industriell hergestelltes Kanu verwendet. Mit dem Resultat sind die Erbauer*innen durchwegs zufrieden. Am Bachelor-Kanu wiederum ist aussergewöhnlich, dass es aus 13 einzelnen Teilen besteht, die in kurzer Zeit auf- und abgebaut werden können. Aus den gleichen Elementen lassen sich auch Möbel zusammensetzen – eine solche Innovation gab es in der Geschichte der ETH-Betonkanus bisher nicht.

Ausbessern, verladen und los geht’s

Im Labor der ETH stehen nun, einige Tage vor dem Start, die letzten Überprüfungen im Pool an. Allfällige Risse in den Booten kann man so erkennen und anschliessend ausbessern. Doch erst in Brandenburg wird sich zeigen, wie belastbar die Boote im Ernstfall sind. Am 13. Juni verlädt das Team die Kanus, dann beginnt der Transport nach Deutschland. «Der Weg ist weit und der Aufwand nicht zu unterschätzen», sagt Tiziano Verasani. Doch er ist zuversichtlich, da alles bestens organisiert sei und man von den Erfahrungen aus früheren Jahren profitieren könne.

Das Rennen in Brandenburg besteht traditionsgemäss aus einer 200 Meter langen Slalomstrecke, die zweimal gemeistert werden muss – hin und zurück.  Dieses Mal wird Tiziano Verasani beim Rennen nicht im Boot sitzen. Doch voller Vorfreude sagt er: «Diese besondere Erfahrung überlasse ich nun jenen, die neu im Verein sind und das noch nie erleben durften.»

Möchten Sie wissen, wie es dem Team der ETH an der Regatta ergangen ist? Hier erfahren Sie mehr.

Forschungsprojekt TABSOLAR

Das Betonelement als Wärmequelle nutzen

Im Rahmen des Forschungsprojekts TABSOLAR III entwickelt das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE gemeinsam mit zahlreichen Projektpartnern eine solarthermische Fassade aus Ultrahochleistungsbeton (UHPC). Die Elemente dieser Fassade sind mit Kanälen durchzogen, in denen eine Flüssigkeit zirkuliert. Diese nimmt Wärme auf und gibt an das Heizungssystem ab. Das Besondere: Die Elemente werden komplett aus Beton hergestellt.

Michael Hermann, wie kamen Sie und Ihre Forschungsgruppe auf die Idee, Fassadenelemente aus Beton als Wärmequelle zu nutzen?
Die Fassade eignet sich für die Wärmegewinnung hervorragend. Sie steht grossflächig im Kontakt mit der Umgebung und kann ausserdem die tiefstehende Wintersonne nutzen. Dass es zu diesem Forschungsprojekt kam, war ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Wir hatten zuvor bereits im Bereich der Kollektorentwicklung mit verschiedenen Konzepten, Fertigungsverfahren und Materialien gearbeitet, zum Beispiel mit kaltaushärtender Giesskeramik. Viele Ideen lagen im Unterbewusstsein. Und dann habe ich erfahren, dass es Ultrahochleistungsbeton gibt. Die Idee war geboren.

Was genau ist das Besondere an TABSOLAR?
TABSOLAR ist ein Fassadenelement aus UHPC, durch das eine Flüssigkeit strömt, die aus der Umgebung und der Solarstrahlung gewonnene Wärme an das Heizungssystem abgibt. Wir formen die Kanäle durch ein spezielles Verfahren direkt bei der Produktion aus Beton, ohne dass wir zusätzliches Material wie etwa Kunststoffrohre benötigen.

Die Idee der Thermoaktivierung von Betonbauteilen ist nicht neu. Massivabsorber-Heizsysteme gibt es bereits seit den 1980er-Jahren. Was ist der Unterschied bei Ihrer Lösung?
Bei den Massivabsorbern stehen klassische, massive Betonelemente im Einsatz. Entsprechend werden die Kanäle als Rohre in den Beton eingelegt und nicht direkt aus Beton geformt. Es wird wesentlich mehr Beton benötigt, und die Elemente sind deutlich schwieriger zu handhaben. Ein TABSOLAR-Element nach unserer aktuellen Auslegung ist 1,75 Quadratmeter gross, 12 Millimeter dünn und wiegt 50 Kilogramm. Es ist wesentlich filigraner und leichter als ein Massivabsorber, und die Oberflächen lassen sich mit sehr feinen Strukturen gestalten.

Dr.-Ing. Michael Hermann, Koordinator für Innovationsprozesse am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE © Fraunhofer ISE

Gibt es bei Ihrer Lösung bereits verschiedene Ausführungen?
Die reine Betonvariante, die wir «TABSOLAR Design» nennen, dient zum Beispiel als Niedertemperaturquelle für Wärmepumpen, die Variante «TABSOLAR Premium» weist wie übliche solarthermische Kollektoren zusätzlich eine spektralselektive Beschichtung, eine vorgesetzte Verglasung und eine rückseitige Wärmedämmung auf und kann damit direkt zur Trinkwarmwasserbereitung und zur Heizungsunterstützung genutzt werden.

Können Sie erläutern, wie genau die Bauteile dieser Betonfassade miteinander verknüpft werden?
Es funktioniert sehr ähnlich wie bei einer klassischen Solarthermieanlage. Die Fassadenelemente werden durch hydraulische Verbindungselemente, die in die einzelnen Elemente eingesteckt werden, miteinander verbunden. So lässt sich ein Hydraulikkreis aufbauen, der die gesamte Fassade durchströmt.

Ist die verwendete Flüssigkeit für die Umwelt unbedenklich?
Wir planen den Einsatz üblicher Solarflüssigkeiten, die auf Wasser und dem gesundheitlich unbedenklichen Propylenglykol als Frostschutzmittel basieren. Propylenglykol ist auch als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen. Die verglaste Solarthermievariante möchten wir als sogenannte Drainback-Anlage bauen, bei der nur reines Wasser als Wärmeträger zum Einsatz kommen soll, weil die Anlage bei Frostgefahr automatisch leerlaufen kann.

Wie stellen Sie sicher, dass das System nicht zusammenbricht, wenn ein Fassadenteil beschädigt wird?
Wir sind noch in der Testphase. So müssen wir noch herausfinden, was passiert, wenn ein Element ausfällt oder ein kompletter Fluidkreis unterbrochen wird. Es ist denkbar, das System so zu konzipieren, dass einzelne vertikale Streifen der Fassade abgeschaltet werden können.

Warum haben Sie sich für UHPC entschieden? Ist dieser Beton nicht zu schwer für eine Fassade?

UHPC hat weniger Poren und ist wesentlich stabiler als Normalbeton. Er ist mit sehr feinen Oberflächenstrukturen gestaltbar und direkt von der Solarflüssigkeit durchströmbar. Das ermöglicht die Produktion von besonders dünnen Elementen. Ein Element ist im Bereich zwischen den Kanälen gerade einmal 1,2 Zentimeter dick. Im Vergleich zu einer zum Beispiel 7 Zentimeter dicken Vorsatzschale aus Normalbeton ist das zirka ein Sechstel. Neben der Materialersparnis ist das auch für die Wärmeübertragung von Vorteil, was angesichts der geringen Wärmeleitfähigkeit von Beton besonders wichtig ist.

Rückseite eines TABSOLAR®-Elements mit bionischer FracTherm®-Kanalstruktur, seitlichen Sammelkanälen und Hydraulikanschlussbuchsen (oben) sowie Schnitt durch ein TABSOLAR®-Element (unten). © G.tecz Engineering GmbH

«Wir haben uns an der Natur orientiert. Dort treffen wir häufig auf fraktale Strukturen mit Mehrfachverzweigungen.»

Dr.-Ing. Michael Hermann

Gibt es weitere Gründe, warum Beton einem anderen Material vorzuziehen ist?
Unsere Idee war es, aus der Sicht der Baubranche und der Architektur zu denken. Beton bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten und ermöglicht es, reliefartige Strukturen einzubringen. UHPC-Fassaden ohne thermische Aktivierung sind bereits erfolgreich im Markt etabliert. Wir wollten diesen Impuls und diese Märkte aufgreifen, indem wir der Fassade einen zusätzlichen Nutzen zuführen.

Eine weitere Innovation bei TABSOLAR ist die Form der Bahnen, in denen die Flüssigkeit zirkuliert …
Genau. Die üblichen Geometrien für solche Systeme haben einige Nachteile. Strömt in einem Mäanderabsorber die Flüssigkeit durch ein einziges Rohr von A nach B, ist das, wie wenn man durch einen langen Strohhalm bläst. Es braucht viel Energie, dafür fliesst alles gleichmässig. Beim sogenannten Harfenabsorber sind mehrere Kanäle parallel angeordnet, vergleichbar mit einem Bündel von kurzen Strohhalmen. Der Druckverlust und damit der Energiebedarf ist geringer, dafür kann es zu Ungleichmässigkeiten führen.

Wir haben uns an der Natur orientiert. Dort treffen wir häufig auf fraktale Strukturen mit Mehrfachverzweigungen. Denken Sie an Blutbahnen oder an die Adern von Blättern. In ihnen ist eine gleichmässige Strömung mit geringem Druckverlust möglich. Unser bionisches Verfahren, das wir «FracTherm» nennen, überträgt diesen Ansatz in die Technik. Es ist also kein Design-Gag; im Übrigen befindet sich die Kanalstruktur üblicherweise auf der Rückseite und ist im Betrieb nicht sichtbar, es sei denn, man wünscht es anders.

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Fertigung von TABSOLAR®-Mustern auf der Kleinmusteranlage. © G.tecz Engineering GmbH

Gibt es weitere Anwendungsmöglichkeiten für Ihre Technologie?
Wir möchten sie auch im Innenbereich anwenden. Hier stellen wir uns unter anderem eine Kombination vor: Eine massive Betondecke mit Rohren für die Temperaturregulierung (Betonkernaktivierung), darunter eine Wärmedämmung und eine TABSOLAR-Schicht. Die Betondecke selbst hat eine grosse Masse und ist bei der Wärmeregulierung träge. TABSOLAR aber kann schneller heizen oder kühlen, indem es entweder direkt mit einer Wärmequelle oder -senke verbunden wird oder sich aus diesem Zwischenspeicher bedient.
Eine weitere Möglichkeit stellt der Garten- und Landschaftsbau dar; so kann man sich unsere Elemente als energiegewinnende freistehende Stelen, Sichtschutzelemente, Zäune oder auch als Bodenplatten vorstellen.

Wo genau stehen Sie mit der Entwicklung?
Wir planen eine grössere Fertigungsanlage zusammen mit einem Sondermaschinenbauer. Auf der operativen Seite sind wir bereits daran, eine Fassade an einem Demonstrationsgebäude umzusetzen. Es handelt sich um ein Zweifamilienhaus aus den 1960er-Jahren, das saniert wird. Es steht in Kassel.

Wann gelangt Ihre Innovation zur Marktreife?
Mit der Annahme, dass unser Demonstrationsgebäude bis 2024 fertig ist, denke ich, dass es in wenigen Jahren so weit sein könnte. Natürlich müssen wir noch einige Hürden nehmen, gerade wenn es um die Zulassungen geht. Das Interesse ist gross – auch aufgrund der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion. Deshalb hoffen wir auf ein schnelles Verfahren bei den Zulassungen.

Können Produzenten von Betonvorfabrikaten in Zukunft mit Ihnen zusammenarbeiten und auf diese Technologie zurückgreifen?
Wir haben aktuell ein sehr gut funktionierendes Konsortium aus zahlreichen Firmen, die uns in der Entwicklung begleiten. Natürlich werden diese Firmen weiterhin mit uns zusammenarbeiten. Ausgehend von diesem Konsortium sind in der Zukunft auch Lizenz- oder Franchising-Modelle denkbar. Wir sind am Austausch mit weiteren Firmen sehr interessiert.

Zur Person

Dr.-Ing. Michael Hermann hat an der Universität Karlsruhe (TH) Maschinenbau studiert und sich bereits dort mit erneuerbaren Energien beschäftigt. Seit 1998 forscht er am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE an thermischen Systemen und an der Kollektorentwicklung. 2005 promovierte er zum Thema «Bionische Ansätze zur Entwicklung energieeffizienter Fluidsysteme für den Wärmetransport» und entwickelte dabei den FracTherm®-Algorithmus. 2012 initiierte Michael Hermann das erste TABSOLAR®-Projekt und leitet mittlerweile das dritte Forschungsprojekt TABSOLAR III, bei dem es darum geht, wie mit vorfabrizierten Fassadenteilen aus Ultrahochleistungsbeton Wärme gewonnen werden kann.

Weisser Turm von Mulegns

Ein Turm aus dem 3D-Drucker

Weniger Beton, dafür mehr computergestützte Planung und digitale Fabrikation – dieses Ziel verfolgt das Projekt Weisser Turm im bündnerischen Mulegns. Die Bauherrin, die Kulturstiftung Nova Fundaziun Origen, hat sich hierfür mit der ETH Zürich zusammengetan. An einer Präsentation haben die Verantwortlichen Ende Mai 2023 über den aktuellen Stand und das weitere Vorgehen informiert.

Der Weisse Turm von Mulegns fasziniert, obwohl es ihn noch nicht gibt. Das Aussergewöhnliche an ihm ist, dass er per 3D-Druckverfahren hergestellt wird. Mit über 23 Metern ist diese Kulturstätte schon bald eines der höchsten 3D-gedruckten Bauwerke der Welt. Hinter dem Projekt stehen die Nova Fundaziun Origen sowie die ETH Zürich. Die 2005 von Giovanni Netzer gegründete Stiftung aus dem Kanton Graubünden ist Bauherrin und wird künftig die Bespielung des Turmes gewährleisten. Die Architekten Benjamin Dillenburger und Michael Hansmeyer aus der Forschungsgruppe Digitale Bautechnologien der ETH leiten die Planung des Bauwerks sowie Produktion der dünnwandigen, hohlen Bestandteile aus weissem Beton.

«Neues Wissen
entsteht oft dort, wo sich unterschiedliche Disziplinen treffen.»

Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung, ETH Zürich

Die Vorarbeiten für den Weissen Turm laufen seit 2021. Unterdessen ist das architektonische Design des Turms vollendet und das Baugesuch eingereicht. Ende Mai 2023 präsentierten die Verantwortlichen an der ETH auf dem Campus Hönggerberg den Zeitplan für das weitere Vorgehen. Dieser sieht so aus: Die einzelnen Bauteile werden im Herbst 2023 an der ETH gedruckt. Zusammengesetzt werden sie im Verlauf des Winters 2023/24 in Graubünden. Sobald im nächsten Frühling der Schnee gewichen ist, kann der Turm in Mulegns aufgebaut werden. Die Voraussetzung dafür ist eine definitive Baubewilligung und eine abgeschlossene Finanzierung, wie der Website der Bauherrin zu entnehmen ist.

Bereits in einer Berichterstattung zu Beginn des Turm-Projekts hat die ETH darauf hingewiesen, dass sie mit dieser Zusammenarbeit die Brücke zwischen Kultur, Forschung und Technologieentwicklung stärken möchte. Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung der ETH Zürich, machte deutlich: «Neues Wissen entsteht oft dort, wo sich unterschiedliche Disziplinen treffen.»

 

Eine materialsparende, effiziente Innovation

Die Fachleute haben die Struktur des Turms mit einer an der ETH entwickelten Software entworfen. Wie Benjamin Dillenburger im Dezember 2022 gegenüber der NZZ erklärte, ermöglicht das Computerprogramm eine genaue Definition der Geometrie, und es kann die erforderlichen Daten direkt an die Druckroboter senden. Benjamin Dillenburger sagte: «Mit Hilfe der neuartigen Technologie muss der Beton gezielt nur dort aufgetragen werden, wo er tatsächlich benötigt wird.» So werde die Masse reduziert, was nachhaltig ist.

Wie die Verantwortlichen mitteilen, ist eine solche digitale Fertigungstechnik eine Innovation im Bauwesen. Die Herstellung mit Robotern benötigt im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren nur die Hälfte des Betons. Bei der sogenannten additiven Fertigung wird der Beton nämlich nicht wie üblich gegossen, sondern in Bahnen aufgetragen. Diese Schichten sind nur wenige Millimeter dünn. Das Material ist so weich, dass es sich homogen verbinden kann, und es härtet genügend rasch aus, um die nächsten Schichten tragen zu können. So lassen sich massgeschneiderte Teile unter wettergeschützten Bedingungen äusserst effizient, exakt und in höchster Qualität herstellen. Eine Schalung braucht es nicht. Auf einer klassischen Baustelle wäre das undenkbar.

«Das Projekt wird den Kanton Graubünden architektonisch und kulturell profilieren und uns international als digitalen Pionier positionieren.»

Nova Fundaziun Origen, Bauherrin

 Finanzierung dank Beiträgen und Spenden

Gemäss Angaben der Nova Fundaziun Origen belaufen sich die Herstellungskosten des Weissen Turms auf insgesamt 4,1 Millionen Franken – die Sanierung des tragenden Sockels sowie die vorgeschriebenen Parkplätze sind einberechnet. Um die Kosten zu stemmen, setzt die Bauherrin auf Beiträge der öffentlichen Hand, auf Stiftungen sowie auf private Donatoren, welche einzelne Säulen für den Turm stiften können. Der Turm wird schliesslich vier Stockwerke mit je acht Säulen umfassen. Die Dachkonstruktion besteht aus einem zentralen, gewölbten Dach und acht filigranen Kuppelträgern.

Die Nova Fundaziun Origen verwies an ihrer Infoveranstaltung auch auf den Nutzen des Turms für die Region: «Das Projekt wird den Kanton Graubünden architektonisch und kulturell profilieren und uns international als digitalen Pionier positionieren. Im Val Surses wird es signifikant zur Belebung des Dorfes Mulegns und zum Schaffen neuer Arbeitsplätze beitragen.» Zudem werde die einheimische Bauindustrie wird mit spannenden Aufträgen und fundamentalem Know-How gefördert.

Gestaltung erinnert an Kunst der Zuckerbäcker

Beim Weissen Turm handelt es sich nicht nur bezüglich Bauweise, sondern auch optisch um etwas Neuartiges. In der Mitteilung der Bauherrin heisst es dazu: «Die robotische Fertigung erzeugt eine kraftvolle organische Ästhetik. Die sich windenden Säulen verdeutlichen die Virtuosität der Statik. Eine semitransparente, weich fliessende Membran erlaubt die Winterbespielung des Turmes. Im Sommer gewährt er freie Sicht auf die felsige Landschaft, die Mulegns umgibt.»

Diese poetisch anmutenden Worte passen zum Zweck, den der Turm dereinst erfüllen wird. Er soll nämlich als Konzerthaus, Kunstinstallation, Aussichtsturm, Theaterkulisse und Denkmal dienen. Laut Angaben der Nova Fundaziun Origen erinnert seine Gestaltung an die Bündner Zuckerbäcker, die einst die Welt bereisten und ihr Können unter Beweis stellten.

Industriell und doch individuell

Die Betonvorfertigung entwickelt sich unaufhaltsam Richtung Kosteneffizienz und beschleunigtem wie auch nachhaltigem Bauen. Zwar braucht der Einsatz von Vorfabrikaten im Vorfeld etwas mehr Planung. In Sachen Qualität und Massgenauigkeit sind industriell – und trotzdem handwerklich – gefertigte Kleinserien jedoch unschlagbar, wie der Beitrag von BETONSUISSE zeigt.

«Wir sind eigentlich eine Manufaktur mit den Vorteilen einer Industrie.»

Cyrill Kunz, Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG

«Bei unseren Betonvorfabrikaten ist der spezifische Faktor so hoch, dass wir eigentlich eine Manufaktur mit den Vorteilen einer Industrie sind», sagt Cyrill Kunz, Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG in Rickenbach. Über 200 Anfragen aus der ganzen Schweiz gehen bei der Luzerner Firma pro Woche ein. Ob Treppen oder Fassaden, kein Auftrag gleicht dem anderen. Die Vorfertigung in Beton verbindet die Vorzüge der Industrie – höchste Präzision, genaue Zeitplanung und gleichbleibende Qualität – mit den individuellen Wünschen der anspruchsvollen Kundschaft. Dabei wird jedes Objekt detailgenau geplant und die Statik berechnet.
Natürlich gibt es Serienanfertigungen mit mehreren hundert identischen Elementen, doch dazu kommen hunderte Aufträge mit kleinen Stückzahlen: Bahnbauelemente, Balkone, Fassadenelemente, Garagen, Lärmschutzelemente, Stützen, Tragwerke oder Treppen. Es gibt so gut wie nichts, das nicht werkseitig vorfabriziert werden könnte.

Volle Kostenkontrolle
Der Fantasie werden nur durch die Kosten für komplexe Matrizen oder Spezialoberflächen gewisse Grenzen gesetzt. Grundsätzlich gilt: Je mehr gleichartige Teile, desto weniger Schalungen müssen gebaut werden. Das senkt die Kosten. «Man kann vieles komplett in Elementen statt in Ortsbeton herstellen», sagt Cyrill Kunz. Wo aber liegt die Grenze, wenn es um Stückzahlen geht? «Allgemein kann man das nicht sagen», sagt Cyrill Kunz. «Sobald es in den Bereich Sichtbeton geht und das Element mehrfach vorkommt», sagt er, «also ab drei, vier Stück schwenken viele auf uns um.» Im Gegensatz dazu ist auch das Gegenteil Alltag: Für grössere Überbauungen wurden auch schon Fassaden mit 1500 Elementen und mit über 700 unterschiedlichen Schalungen bestellt.

Individualisierung grossgeschrieben
In Zeiten, in denen das Individuelle Standard ist, bieten präzise Planung und präzise Vorfertigung ein ideales Duo. Im Grunde gibt es nichts, was nicht unter kontrollierten Bedingungen in einer Halle produziert werden könnte. Dies ist auch ein gutes Argument in Zeiten des Fachkräftemangels, in denen Firmen auch mit guten Arbeitsbedingungen punkten können ­– wie etwa das Arbeiten unter Dach geschützt vor Wind und Wetter.

In Zukunft dürften mehr Fasern aus Stahl und Kunststoff konventionelle Armierungen ersetzen. Faserarmierter Beton spart Zeit und Geld und macht die Vorfabrikation noch wirtschaftlicher. Um Beton einzusparen, dürften die Vorfabrikanten vermehrt dünnwandige Elemente produzieren. Das ist ressourcenschonend und damit nachhaltiger. Auch der 3D-Betondruck, also die Betonformgebung ohne schalen zu müssen, ist im Aufschwung. Dies alles sind überzeugende Argumente, um das modulare Bauen noch weiter nach vorne zu bringen.

Cyrill Kunz, 43, Geschäftsführer der Müller-Steinag Element AG, verfügt über 20 Jahre Vertriebserfahrung in verschiedenen Branchen.

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Nachhaltiges Bauen
Die Vorfabrikation von Betonelementen unter kontrollierten Produktionsbedingungen hat viele Vorteile. Nebst einer hohen Massgenauigkeit und diversen Qualitätsprüfungen entlang des Produktionsprozesses werden insbesondere auch weniger Ressourcen verbraucht. Weniger Material resultiert in geringeren CO2-Emissionen sowohl bei Herstellung wie auch beim Transport. Dank der Vorfertigung im Werk und den damit verbundenen optimierten Bauprozessen gibt es auf der Baustelle weniger Lärm und Staub sowie mehr Platz. Auch die Kreislaufwirtschaft gewinnt an Bedeutung. Der Kanton Zürich beispielsweise fördert Recycling-Beton in der Vorfertigung. Im Hochbau funktioniert der Einsatz von Recycling-Elementen bereits sehr gut.

Forschung am NEST

Inspirationsquelle für Baufachleute

Im Forschungs- und Innovationsgebäude NEST der Empa und der Eawag in Dübendorf testen Forscherinnen und Bauexperten neue Techniken. Das NEST spielt vorne mit, wenn es um innovative und nachhaltige Anwendungen von Beton geht. Die neuen Ideen werden hier in realer Umgebung getestet und dem Markt rasch zugänglich gemacht.

«Ohne Beton wird es nicht gehen», ist Reto Largo überzeugt. Für den NEST-Geschäftsführer und Innovation Manager ist Beton einer der wichtigsten Baustoffe und ein sehr leistungsfähiges Material. Die grosse Chance sieht Largo in der Weiterentwicklung von Beton – vor allem in Bezug auf Nachhaltigkeit: «Sicher, einen Teil des Betons können wir mittelfristig mit nachhaltigeren Ressourcen ersetzen. Trotzdem bleibt die Nachfrage riesig. Das Ziel muss sein, den Beton mit verschiedenen Massnahmen effizienter zu machen.» Im NEST wird genau dafür geforscht und entwickelt.

Gewagte Formen: Das modulare Empa-Forschungsgebäude NEST in Dübendorf.

Hightech-Wendeltreppe aus Betonelementen

Bei einem der Projekte in der STEP2-Unit des NEST kommt vom Entwurf bis zur Produktion ein komplett digitales Verfahren zum Einsatz. Für die Herstellung einer Betontreppe verwenden die Partner aus Forschung und Industrie ultrahochfesten faserverstärkten Beton und giessen diesen in von 3D-Druckern vorgefertigte Schalungen. Dadurch werden individuelle, sehr dünne und komplexe Formen möglich, die mit normalem Stahlbeton nicht realisiert werden könnten. Die einzelnen Treppenstufen werden auf der Baustelle auf einem hochmodernen Vorspannsystem befestigt. Diese Methode ermöglicht es, massgeschneiderte Betontreppen herzustellen – ohne Risiko, dabei viel Aufwand und Abfall zu produzieren.

«Unser Ziel ist es, den Beton mit verschiedenen Massnahmen in den nächsten 10 bis 15 Jahren CO2-neutral zu machen.»

Reto Largo, Innovation Manager und Geschäftsführer NEST

Beton effizienter machen

Das NEST hilft auch mit, Forschungsergebnisse aus Universitäten auf den Boden zu bringen. Zum Beispiel erprobten Forschende der ETH im NEST einen Betonboden, der 60 Prozent weniger Beton und 90 Prozent weniger Stahl braucht. Der internationale Schweizer Baustoffkonzern Holcim will diese Technologie nun zusammen mit der ETH Zürich marktfähig machen. Für Reto Largo ist dies ein Paradebeispiel für die Arbeit im NEST: «Wir wollen, dass Forschung und Wirtschaft am gleichen Strick ziehen. Im NEST bringen wir die einzelnen Player zusammen und sorgen dafür, dass sie in einer anregenden Atmosphäre mit wenig Risiko Ideen entwickeln, erstmals einsetzen und in der realen Welt schnell umsetzen können.» 

Inspirationsquelle für Baufachleute

Das NEST will nicht abgehoben sein und sucht gezielt den Kontakt mit der Öffentlichkeit, mit Handwerkern und Baufachleuten. Die Menschen hinter Bauprojekten haben generell keinen grossen Risikohunger. Im NEST können verrückte Ideen ohne grosses Risiko in einer reellen Umgebung ausprobiert und dann fit für den Markt gemacht werden. Wenn etwas funktioniert, profitieren alle. «Wir sehen uns als Inspirationsquelle für Bauprofis und laden diese zu uns ein. Vor Corona hatten wir über 1000 Besucherinnen und Besucher bei uns zu Gast – pro Monat. Leute in der Baubranche wollen Materialien berühren. Sie möchten mit eigenen Augen sehen, ob etwas funktioniert und ob es gut ausschaut», erklärt Reto Largo und sagt stolz: «Die meisten Gäste verlassen das NEST mit einem Lächeln im Gesicht.»

Einer Wirbelsäule nachempfunden. Die Wendeltreppe der Step2-Unit. Quelle: Digital Building Technologies – ETH Zürich

Beton im Weltall

Völlig losgelöst

Beton ist weltweit der wichtigste Baustoff. Bereits kleine Verbesserungen bei seiner Herstellung haben enorme Auswirkungen. Das auf Forschungen im All spezialisierte Kompetenzzentrum BIOTESC der Hochschule Luzern hat Experimente mit Beton durchgeführt. Die Erkenntnisse sollen die Betonherstellung auf der Erde verbessern – und aufzeigen, ob Betonieren auf dem Mond möglich ist.

«Der Astronaut mit dem passenden Namen Matthias Maurer mischte für uns acht Stunden lang Beton im Orbit. Wir schauten ihm live dabei zu.»

Dr. Bernd Rattenbacher, Manager BIOTESC

Das Kompetenzzentrum BIOTESC in Hergiswil am Vierwaldstättersee gehört zur Hochschule Luzern und unterstützt Experimente auf der internationalen Raumstation ISS. Das BIOTESC-Team war massgeblich beteiligt an den aktuellen Raumschiff-Experimenten, in der Vorbereitung und Durchführung: «Der Astronaut mit dem passenden Namen Matthias Maurer mischte für uns acht Stunden lang Beton im Orbit. Wir schauten ihm live dabei zu. Ein Highlight», schwärmt Bernd Rattenbacher, Forschungsgruppenleiter bei BIOTESC.

Astronaut Matthias Maurer macht Betonexperimente im Weltall. Copyright: ESA/NASA

«Vielleicht finden wir heraus, wie Beton mit weniger Zement hergestellt werden könnte.»

Dr. Bernd Rattenbacher, Manager BIOTESC

Beton ohne Schwerkraft mischen

Im Unterschied zur Erde fallen grössere Bestandteile in der Schwerelosigkeit nicht nach unten und es gibt auch keine aufsteigenden Luftblasen. «Durch diese Experimente können wir beobachten, wie sich Sand und Zement unter ganz anderen Umständen verhalten und können besser verstehen, wie sich Beton erhärtet», erklärt Bernd Rattenbacher und ergänzt: «Vielleicht finden wir so heraus, wie Beton mit weniger Zement hergestellt werden könnte.» Bereits kleine Verbesserungen bei der Betonherstellen hätten grosse Auswirkungen auf die Umwelt.

Langes Warten auf Ergebnisse

Die Betonproben kommen mit dem nächsten Flug von der ISS im Juli 2022 zurück auf die Erde und werden dann an den Partneruniversitäten zu Köln und Duisburg Essen ausgewertet. Bernd Rattenbacher ist gespannt: «Wir hoffen auf gute Resultate. Bereits bei der Vorbereitung und Durchführung des Experiments haben wir enorm viel über Beton gelernt.»

In einem der Versuche wurde auch mit künstlichem Mondstaub experimentiert. 2024 will die NASA auf dem Mond landen. Das erste, was es da braucht, ist eine Landeplattform. Gut möglich also, dass diese aus Beton gebaut wird.

64 solche Mini-Betonmischer werden in der Schwerelosigkeit getestet. Copyright: ESA/NASA
Robotik für mehr Komplexität

XXL-Treppenelemente just in time

1’2 Milliarden Investitionsvolumen, entworfen von Herzog & de Meuron, rund 1’800 Büro- und Laborarbeitsplätze: das neue Forschungs- und Entwicklungszentrum pRed von F. Hoffmann-La Roche in Basel wird eines der wegweisenden Bauwerke der Schweiz. Das mit bau-architektonischen Finessen und Herausforderungen aufwartet. Die Aussentreppen bestehen aus Betonelementen. Hergestellt mit einem 6-Achs-Roboter.

Die Abteilungen des Forschungszentrums sind offen miteinander verbunden – durch gewundene Treppen in Extragrösse. Ein architektonisches Bonbon, das sich in konventioneller Bauweise kaum realisieren lässt. Betonelemente erweitern die Grenzen des Möglichen. Ganz besonders, wenn der Modellit-6-Achs-Roboter der Filigran Betonelement AG eingesetzt wird. «Für den Roboter – einer von nur drei weltweit – ist das eine fast schon typische Aufgabe», erzählt Firmeninhaber, Geschäftsleiter und Robotik-Ambassadeur Markus Hirschi.

«Bei aller Robotik macht der menschliche Faktor den Unterschied.»

Markus Hirschi, Robotik-Ambassadeur,
Inhaber Filigran Bauelemente AG

Der Roboter funktioniert wie ein umgekehrter 3D-Drucker; aus einem Rohling wird eine dreidimensionale Form gefräst. Das macht er auf Basis von Roboterdaten, die mit einer eigenen Software programmiert werden. Die Vorarbeiten im Projektfall:  hausinternes Engineering und Bearbeitung der Architektenpläne in 3D. Die Schalungen selbst waren äusserst komplex – mit bis zu vier verschiedenen Radien. Und wurden dennoch in Rekordzeit hergestellt. «Es geht komplexer, innovativer, schneller – insgesamt wirtschaftlicher. Das sind wesentliche Vorteile der Roboter-gestützten Produktion von Betonelementen. Die unverändert notwendigen Vorarbeiten sind dabei von entscheidender Bedeutung. Bei aller Robotik macht der menschliche Faktor den Unterschied.»

Insgesamt wurden in Basel 22 Gross-Elemente milimetergenau und montagefertig just-in-time produziert und direkt ab LKW eingebaut. Ob von Roboterarm oder Menschenhand geschaffen: die vielen Vorteile von Betonvorfabrikaten – Geschwindigkeit, Präzision, Flexibilität, Wirtschaftlichkeit – kommen immer zum Tragen.

Komplexer, innovativer, schneller – insgesamt wirtschaftlicher. Der Filigran-Roboter im Einsatz.

Video

Im Interview mit dem Online-Portal BERN-OST stellt Inhaber und Geschäftsleiter Markus Hirschi den Roboter Modellit en détail vor.
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