
Frühsommer 2024. Intensiver Dauerregen liess den Pegel des Bodensees rekordverdächtig ansteigen. Stellenweise trat er übers Ufer, überschwemmte Promenaden, hielt Feuerwehren und die Bevölkerung in Atem. «In meiner Nachbarschaft stand das Wasser 60 Zentimeter hoch in den Kellern», sagt Tobias Baur. Er wohnt in Überlingen – nicht direkt am See, sondern am Hang, wo Wasser im Normalfall automatisch abfliesst. «Der Regen war so intensiv, dass der nahe Kanal das Wasser nicht mehr abführen konnte», erinnert er sich.
Solche Wetterereignisse beschäftigen Tobias Baur normalerweise nur beruflich. Er ist Professor für Landschaftsarchitektur an der Fachhochschule OST. Sein Forschungsschwerpunkt: die Schwammstadt – ein Stadtplanungskonzept, das sich am natürlichen Wasserkreislauf orientiert. Regenwasser soll nicht einfach so schnell wie möglich über die Kanalisation abgeleitet werden, sondern dort zurückgehalten werden, wo es fällt – und wo das Wasser dann lokal versickert, gespeichert wird und später beim Verdunsten die Umgebung kühlt. Die Vorteile: ein angenehmeres Klima, weniger Überhitzung, genug Wasser für Pflanzen und gefüllte Grundwasserspeicher.
Regenwasser als Ressource nutzen
In der Schweiz sind immer mehr Flächen überbaut. Parallel dazu haben auch die intensiven Wetterphänomene wie Starkregen oder Hitzeperioden zugenommen. Ihre Auswirkungen werden durch die vielen versiegelten Flächen verstärkt. Wenn es intensiv regnet, bleibt das Regenwasser an der Oberfläche, überlastet Kanalisation und Kläranlagen, beschädigt Gebäude, Infrastruktur, Landwirtschafts- oder Grünflächen. In heissen Sommern bilden sich in dicht bebauten Innenstädten und Agglomerationen Hitzeinseln – mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit, insbesondere für ältere oder kranke Menschen.
Mit dem Klimawandel und seinen Folgen für Mensch, Natur und Infrastruktur hat das Schwammstadtkonzept Auftrieb erhalten. Neu ist die Idee allerdings nicht, neu ist vor allem der Name. Sprach man früher von wassersensibler Stadtentwicklung, heisst es heute «Schwammstadt» oder «Sponge City». Ziel ist es, Siedlungen resilienter gegen Starkregenereignisse und Dürreperioden zu machen. Inzwischen setzen immer mehr Städte und Gemeinden – auch in der Schweiz – auf das Konzept. «Zukunftsfähige Städte sehen Regenwasser als wertvolle Ressource und nicht als Abfall», betont Tobias Baur.




Durchlässige Stadt aus bunten Elementen
Eine funktionierende Schwammstadt basiert auf dem Zusammenspiel verschiedener Elemente: durchlässige Oberflächen, Begrünung, Filter- und Speichersysteme sowie Lösungen für eine dezentrale Oberflächenentwässerung wie Rinnen oder Mulden. Weil Wasser und Pflanzen im Zentrum stehen, spricht man oft auch von blauer und grüner Infrastruktur.
Für Schwammstadtprojekte an Orten mit intensiver Nutzung – wie viel Verkehr oder schwere Lasten – braucht es oft auch graue Infrastruktur in der Form von wasserdurchlässigen Belägen, Zisternen oder Retentionsanlagen. Damit wird das Regenwasser gezielt geleitet, gereinigt oder gespeichert. Viele dieser Produkte haben Firmen wie die Creabeton AG und die Tschümperlin AG Baustoffe teilweise seit Jahrzehnten im Sortiment. Beide Betriebe haben ein grosses Know-how im Bereich Regenwassermanagement, das sie heute gezielt in Schwammstadtprojekte einbringen.
«Regenwasser als Ressource – dieses zukunftsweisende Konzept passt perfekt zu unserer Nachhaltigkeitsstrategie», sagt Marco Meuwly, Leiter Technik bei der Creabeton AG. Er stellt aber auch fest, dass das Konzept der Schwammstadt für viele Behörden, Planungsbüros und Bauunternehmen noch eine grosse Herausforderung darstellt. Ein möglicher Grund: Die Anforderungen sind sehr komplex und tangieren verschiedene Fachbereiche, was einen hohen Koordinationsbedarf zwischen den beteiligten Projektpartnern erfordert. Mit Unterlagen und Referenzprojekten will die Creabeton AG deshalb Bauherrschaften für die Vorteile der Schwammstadt sensibilisieren und gezielt unterstützen – von der ersten Beratung bis zur Umsetzung.
Auch die Tschümperlin AG Baustoffe vermittelt Wissen weiter – beispielsweise über die veränderten Anforderungen an befahrbare Flächen. «Wir unterstützen Berufsschulen an ihren überbetrieblichen Kursen für angehende Gartenbauerinnen und Gartenbauer oder sensibilisieren Interessierte bei Fachtagungen rund um das Thema Stadtklima und Schwammstadt», sagt Marco Bourquin, zuständig für die Beratung von Landschaftsarchitekten und Architekten.
Wasserdurchlässige Beläge für jeden Anspruch
Für beide Experten ist klar: Das Entsiegeln der Oberflächen ist das A und O für das Funktionieren einer Schwammstadt. Strassen, Wege und Plätzen sollen möglichst mit wasserdurchlässigen Belägen erstellt werden. Beide Unternehmen führen eine breite Palette an solchen Systemen, die auch für Flächen mit hohen Belastungen geeignet sind. «Es gibt für fast jede Belastung und jeden Anspruch den passenden Stein – in Form und Farbe», sagt Marco Bourquin von der Tschümperlin AG Baustoffe und ergänzt: «Quartierstrassen, Gehwege, Parkplätze und öffentliche Räume werden im nahen Ausland seit Jahrzehnten mit Schwerlast-Pflasterstein-Systemen verbaut – mit offenen Fugen und barrierefrei.» Die Vorteile: Neben dem Versickern bieten Pflastersysteme viele gestalterische Möglichkeiten und eine verbesserte Hitzeabstrahlung.
Für die Weiterentwicklung ihrer Betonprodukte arbeiten beide Hersteller eng mit Hochschulen und Fachhochschulen zusammen. Dabei werden beispielsweise Betonbeläge auf deren Versickerungsleistung geprüft oder die Forschenden ermitteln die optimale Fugenbreite, das passende Fugenmaterial sowie dessen Zusammensetzung. «Wir wollen Lösungen entwickeln, die sich an die zukünftigen Bedürfnisse in den Städten anpassen, insbesondere in Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft», sagt Marco Meuwly von der Creabeton AG.
Wandel im Denken gefordert
Produkte und Wissen sind in der Schweiz also vorhanden, ebenso gibt es Vorzeigeprojekte. Was es nun brauche, sei ein Umdenken, sagt Schwammstadtforscher Tobias Baur: «In Zukunft muss der Fokus auf den natürlichen Fliesswegen des Wassers liegen, denn das Regenwasser hält sich nicht an Grenzen.» Wer neue Projekte konsequent mit diesem Blickwinkel plane, habe schon viel erreicht: «Viele Lösungen tun niemandem weh und sind auch planerisch keine Herausforderung». Der Nutzen liegt auf der Hand: Ein durchdachter Umgang mit Regenwasser macht Städte widerstandsfähiger, lebenswerter und zukunftsfähig. Auch dank dem gezielten Einsatz von Betonelementen.
Infoplattform Schwammstadt
Der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA startete im März 2022 die strategische Initiative «Schwammstadt». Ziel der Initiative ist es, im Siedlungsbau ein an den Klimawandel angepasstes Wassermanagement zu fördern. Auf der Infoplattform Schwammstadt bündelt sie gute Beispiele von Schwammstadtprojekten, nützliche Werkzeuge für die Planung und Umsetzung sowie Veranstaltungen und Ausbildungen.