Interview

«Beton wird mit dem Alter stärker»

Thomas Rohr beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten intensiv mit der Verbesserung von Kanalisationsrohren aus Beton. Wenige kennen sich in dieser Disziplin so gut aus wie er. Der Bauingenieur ist Mitglied bei Normenvereinigungen und Dozent für Siedlungsentwässerung. Dabei richtet sich sein Blick stets nach vorne, in die Zukunft der Kanalisationsrohre.

Thomas Rohr, Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit Fragen und Forschung rund um das Thema Kanalisation. Was fasziniert Sie besonders am Thema?
Grundsätzlich ist es so: Bei einer Entwässerung oder bei der Abwasserentsorgung wollen wir unsere Gewässer so wenig als möglich belasten. Da es weder ökologisch noch ökonomisch ist, alles Abwasser über eine Kläranlage zu leiten, braucht es Regeln und Grenzen, um den Wasserkreislauf zu jeder Zeit aufrechterhalten zu können. Es müssen viele Komponenten zusammenstimmen, damit ein solches Bauwerk funktioniert und wirtschaftlich ist. Betonrohre haben sich in der Kanalisation bewährt und sind zukunftsträchtig. Da mitzuarbeiten, ist faszinierend und lohnend.

Sie tönen es an: Die ersten Betonkanäle stammen aus dem Jahr 1863 und wurden in Basel eingebaut. Wo liegen die entscheidenden Fortschritte des Betonkanals in den letzten 160 Jahren?
Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass abgesehen davon, dass das Abwasser noch immer von oben nach unten läuft und wir nach wie vor runde Rohre verwenden, sich tatsächlich alles geändert hat. 1863 wurden die Rohre noch mit Stampfbeton hergestellt, heute produzieren wir die Rohre mit hoch entwickelten Produktionsanlagen. Die Herstellverfahren, Qualität und Anwendungstechnik von Rohren und Schächten aus Beton und Stahlbeton wurden ständig weiterentwickelt, um den Anforderungen an Abwasserleitungen und -kanäle hinsichtlich Dauerhaftigkeit, Dichtheit, Tragfähigkeit und Funktionssicherheit gerecht zu werden.

«Die Digitalisierung macht auch bei der Produktion von vorfabrizierten Betonbauteilen nicht Halt.»

Und wie weit ist die Technik heute im digitalen Zeitalter?
Die Digitalisierung macht auch bei der Produktion von vorfabrizierten Betonbauteilen nicht Halt. Heute werden die Schachtunterteile mit 3D-Fräsanlagen objektspezifisch hergestellt. Um die notwendigen Modelldaten zu erhalten, sind in der letzten Zeit digitale Konfiguratoren entwickelt worden, die auch als Grundlage für die hydraulischen und statischen Bemessungen verwendet werden können. Dies bedeutet, wir bauen heute auch in der Entwässerungstechnik erst einen digitalen Zwilling und dann setzen wir das Bauobjekt um.

Weshalb verwendet man noch heute Beton für Kanalisationsrohre?
Seit 1863 hat sich bei der Art des Abwassers wenig geändert. Bei dem häuslichen Schmutzwasser und Regenwasser wurde die Menge grösser, die chemische Zusammensetzung blieb jedoch ähnlich. Bei dem Industrie- und Gewerbeabwasser hat sich die chemische Zusammensetzung allerdings geändert. Dies hat Einfluss auf die Nutzungsdauer einer Abwasserleitung. Und genau in diesem Bereich hat der Beton einen grossen Vorteil. Beton wird mit dem Alter nicht schwächer, sondern eher stärker. Beton können wir mit einfachen Mitteln reparieren und renovieren, ohne dass wir die Bauteile auswechseln müssen.

Thomas Rohr, Projektleiter bei der MÜLLER-STEINAG Gruppe, ist Bauingenieur und Kanalisationsexperte.

Ist beim Beton schon alles erforscht oder gibt es noch Wissenslücken?
Ich glaube, es gibt im Rohrmarkt keinen anderen Werkstoff, der so genau untersucht und analysiert worden ist, wie Beton beziehungsweise Stahlbeton. Heute diskutieren wir über den Rohrpreis, der in etwa 2 bis 4 Prozent des Gesamtpreises eines Rohreinbaus ausmacht. Wir sprechen dabei interessanterweise nie über die Werterhaltungskosten über eine bestimmte Nutzungsdauer. Dabei müssen wir Rohre und Schächte aus Beton und Stahlbeton als Ganzes betrachten, sie sind effizient, widerstandsfähig und verlässlich in ihrer Leistung, von der Produktion bis zur Wiederverwertung. Dadurch bieten die Bauteile zahlreiche Vorteile, die sie zu einer optimalen Wahl für Abwassersysteme machen.

Wo liegt der Vorteil gegenüber Kunststoffrohren?
Das werde ich oft gefragt und ich finde dies eine dumme Frage. Wir kennen mehr als 30 verschiedene Rohrarten und -typen. Und vermutlich hat jeder Rohrwerkstoff oder Typ seine Berechtigung auf dem Markt.

Das ist eine sehr diplomatische Aussage. Was ist nun Sache, welcher Rohrtyp ist besser?
Bei dieser Frage will man sicher hören, dass ein Betonrohr zu 82,1 Prozent aus Sand und Kies, aus 5,1 Prozent aus Wasser und zu 12,8 Prozent aus Zement besteht und ein Kunststoffrohr zu 100 Prozent aus Erdöl- oder Erdgasrohstoffen produziert wurde. Oder, dass ein Betonrohr zu 100 Prozent wiederverwertet werden kann und ein Kunststoffrohr in der Regel einer thermischen Verwertung zugeführt wird. Oder, dass Betonrohre gegenüber anderen Rohrmaterialien keinen Mikroplastik verursachen.

So weit ist uns das bekannt. Doch welches Material ist nun im Vorteil?
Sagen wir es so: Was die Rohre und Schächte aus Beton und Stahlbeton so optimal für die unterschiedlichste Anwendungsbereiche macht, ist das besondere Potenzial für die nahezu grenzenlosen Formbarkeit. Kein anderer Werkstoff kann in den verschiedensten Formen vorfabrizierte Profilrohre anbieten.

Sie verfolgen und prägen die Entwicklung von Rohren aus vorgefertigtem Beton seit Jahrzehnten. Wohin führt sie oder anders gefragt: Welche neuen Technologien prüfen Sie?
Durch die modellbasierten geometrischen Modelldaten können wir exakte Produkteigenschaften zur Verfügung stellen, und diese zum Beispiel für hydraulische Simulationen brauchen. Dadurch können wir Werkzeuge zur Verfügung stellen, die eine noch präzisere Projektplanung ermöglichen und die Baustellenabläufe noch besser optimieren lassen. Die nächsten Schritte werden die Einführungen einer automatisierten Qualitätskontrolle sein oder die digitale Erkennung der Informationen an dem Bauteil.

«Es macht keinen Sinn, dass wir nun die bestehenden Kanalisationen einfach durch grössere Rohre ersetzen.»

Die Klimaerwärmung stellt mit vermehrtem Starkregen auch an die Kanalisation höhere Ansprüche, damit sie die grossen Wassermengen fasst. Wie schaffen Sie das technisch?
Solche Ereignisse sind in der Regel sehr kurzfristig. Es macht keinen Sinn, dass wir nun die bestehenden Kanalisationen einfach durch grössere Rohre ersetzen. Obwohl dies für uns Hersteller ein Glücksgriff wäre, und unsere Produktion wäre über mehrere Jahre sichern würde. Aber es macht mehr Sinn, dass die grösseren Regenmengen kurzfristig zwischengespeichert werden, entweder an der Oberfläche oder unter Terrain. Solche Massnahmen funktionieren nur, wenn die Wassermengen geführt und geregelt abgeleitet werden. In diesem Bereich sind noch einige Investitionen notwendig.

Thomas Rohr, was wünschen Sie sich für den Schweizer Kanalisationsbau?
Durch die Einführung des Berufes von Entwässerungspraktikern und -technologen verfügen wir in der Schweiz über Fachpersonen, die ihr Handwerk im Unterhalt und in der Wartung verstehen. Ich hoffe, dass dieser Beruf bestehen wird und genügend Nachwuchs hat. Ich wünsche mir, dass es viele Leute gibt, die etwas in der Abwasserentsorgung bewirken wollen und Werkzeuge für wirkungsvolle Entwässerungsprozesse entwickeln. Ich hoffe auch, dass es weiterhin Produzenten von Betonvorfabrikaten gibt, die den Nachwuchs fördern und die in den wunderbaren Werkstoff Beton viel Zeit und Geld investieren. Damit unterstützen sie die Forschung und Entwicklung im Bereich der Entwässerungstechnik.

Thomas Rohr

Der Bauingenieur ist ein ausgewiesener Fachmann für Kanalisationsbau mit über 30 Jahren Erfahrung. Zuerst arbeitete Thomas Rohr als Ingenieur in einem privaten Büro und seit 1994 als Produkt Manager und Projektleiter bei der MÜLLER-STEINAG Gruppe. Rohr ist unter anderem Mitglied bei Normenvereinigungen sia 190 Kanalisationen und bei der VSA als Co-Leiter CC Kanalisationen. Zudem ist er Dozent beim CAS Siedlungsentwässerung an der Berner Fachhochschule.

Mehr Informationen

Wie Schweizer Hersteller von vorfabrizierten Kanalisationsrohren im Untergrund wirken, erfahren Sie hier: aqua-eco.ch

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