Interview

«In unseren Adern fliesst Beton»

Hendrix Müller führt den Produktionsstandort Rickenbach/LU der familieneigenen MÜLLER-STEINAG Gruppe. Er ist fasziniert vom vielfältigen Baustoff Beton und setzt alles daran, diesen umweltfreundlicher zu machen. Er bezeichnet sich selbst als «Early Adopter», als jemanden, der technische Neuerungen besonders schnell in den Alltag integriert.

Hendrix Müller, wann kamen Sie das erste Mal bewusst mit vorfabriziertem Beton in Berührung?
In meiner Kantonsschulzeit machte ich immer wieder Ferienjobs im Betrieb. Ich arbeitete in der Polymerbetonfertigung und liebte es. Später war ich eine Zeitlang auf einem Bauernhof tätig, wo wir für den Bau eines Freiluftstalles die Roste, Güllerinnen und Liegeplätze für die Kühe teilweise selbst betonierten. Und ich war auch schon als Lastwagenchauffeur mit Beton unterwegs.

Und heute?
Ich komme tagtäglich mit Beton in Berührung – und zwar wortwörtlich. Wenn ich durch die Betriebshallen gehe, berühre ich immer wieder das Material. Das Haptische ist mir wichtig. Und kürzlich wechselte ich bei mir Zuhause einige Verbundsteine selbst aus.

Was bedeutet Ihnen der Werkstoff Beton?
Für mich ist Beton mit Emotionen verbunden. Der Geruch ist spezifisch, wie auch beim Holz. Riecht es nach Beton oder Holz, werde ich an meine Grossväter erinnert, der eine führte unser Betonwerk, der andere eine Zimmerei. Mich faszinieren die vielen Möglichkeiten, die Beton bietet.

Wie unterscheiden sich Betonprodukte, die vor 20 Jahren entstanden, von den heutigen?
Grundsätzlich sind die Zutaten die gleichen. Sand und Kies, Wasser und Zement. Heute verwenden wir allerdings Zusatzmittel, die sich viel genauer einstellen lassen und erreichen so präzise die gewünschten Eigenschaften. Mit dem modernen SCC-Beton (selbstverdichtender Beton) arbeiten wir sehr fortschrittlich und auch viel ruhiger, da kaum mehr Vibratoren eingesetzt werden müssen. Das erhöht die Arbeitsqualität enorm.

Hendrix Müller, Müller Steinag Element AG, Swiss Beton, GRAU online
Hendrix Müller ist ein Technikfan uns sucht stets nach innovativen Lösungen.

Und wie werden Betonprodukte in 20 Jahren sein?
Der Blick in die Kristallkugel ist schwierig. Vielleicht kommen Alternativen zu herkömmlichem Zement auf, die zur Ergänzung eingesetzt werden können. Hier sind calcinierte Tone (LC3) sicher Favoriten. Auch hydrolithische Steinmehle gehören dazu. Zentral sind für mich die Anstrengungen, die CO2-Emissionen zu senken. Darauf muss sich die Zementindustrie und auch wir als Betonprodukthersteller fokussieren,

Betonvorfabrikate werden auf der ganzen Welt eingesetzt. Gibt es Unterschiede?
Bei uns in der Schweiz sind die Ansprüche um ein Vielfaches höher, Insbesondere, was die Optik und die Oberflächen angeht. Wir bieten wie sonst wohl niemand verschiedenste Betonoberflächen, vom Waschbeton bis zu gestrahltem Beton – und alles in perfekter Qualität. Bei uns geht es ja oft um einzelne Objekte. Plattenbauten mit x-facher Wiederholung gibt es hierzulande nicht.

Wo spielt die Musik in Sachen Beton?
Wir sind sehr nah dran am Puls der Zeit. Der Wissensaustausch unserer Forschungsabteilungen mit Hochschulen und Instituten ist ein zentraler Faktor. Ein Fokus der Forschung liegt darin, dünnere Betonteile mit hoher Festigkeit herzustellen, um so Material zu sparen. Es gibt noch weitere grossartige Ideen, die wir zum Teil bereits umsetzen. Zum Beispiel konnten wir bei uns im Werk bereits erfolgreich CO2 im Beton binden.

«Als Early Adopter suche ich immer nach neuen Lösungen, auch ausserhalb meines angestammten Bereichs.»

Hendrix Müller

Hendrix Müller, Sie befassen sich intensiv mit der Entwicklung von Beton für Vorfabrikate. Was fasziniert sie am meisten?
Spannend ist sicher brandfester Beton, wo ich bei Brandversuchen staunte, wieviel Wasser im erhärteten Beton gebunden ist. Ein weiteres hochinteressantes Feld sehe ich im schnellbeschleunigenden Beton mit sehr kurzer Aushärtezeit. Zudem finde ich generell bei unseren Elementen die Betonoberflächen faszinierend, die so fein sind wie Baby-Popos.

Im Bereich Digitalisierung leisten Sie Pionierarbeit. Sie machen den Lebenszyklus von Betonbauwerken digital verfügbar. Was ist der Vorteil?
Die sogenannte BIM-Technologie (Building Information Modeling) heisst auf Deutsch Bauwerksdatenmodellierung. BIM ist eine Methode, bei der Gebäude mithilfe von Software vernetzt geplant, gebaut und bewirtschaftet werden. Ich sehe den Vorteil dabei weniger im Erstellen und Bauen, sondern vor allem in der Instandhaltung des Gebäudes – bis zu einem möglichen Abbruch der Liegenschaft. Alle nötigen Informationen für den Unterhalt oder eine Sanierung sind vorhanden. Beim Abbruch eines Gebäudes ist damit sofort klar, was noch von Nutzen ist und was nicht. Diese Daten sind für die Kreislaufwirtschaft zentral. Hier sehe ich viel Potential.

Man spürt bei Ihnen, dass Sie sich für neue Technologien begeistern. Woher kommt diese Affinität zum Technischen und Digitalen?
Als Early Adopter suche ich immer nach neuen Lösungen, auch ausserhalb meines angestammten Bereichs. Bei technologischen Entwicklungen bin ich immer sehr früh dran und weiss, worum es geht. Neueste Trends und deren praktische Umsetzung sind einfach spannend. Zum Beispiel können wir mittlerweile mit Sensoren den Bewässerungsgrad einer Baumgrube überwachen. So muss die Stadtgärtnerei nicht unnötig bewässern.

«Mein Ziel ist, Beton so nachhaltig wie möglich zu machen.»

Hendrix Müller

Ein wichtiges Thema ist die Nachhaltigkeit von Beton und Betonvorfabrikaten zu verbessern. Wohin geht die Reise?
Mein Ziel ist, Beton so nachhaltig wie möglich zu machen. Dabei denken ich nicht in erster Linie an Zertifikate oder Kompensationen, sondern an konkrete Massnamen in unserem Betrieb. Wir machen bereits sehr viel mit einer umweltfreundlichen Transportflotte, Holzschnitzelheizung, Strom aus Photovoltaik oder umfangreichen Rekultivierungen.

Was halten Sie von mit Ton versetztem sogenannten Ökobeton, wie ihn die Universität Lausanne propagiert?
Wir verfolgen die Entwicklung mit Interesse. Für uns in der Region ist dieser LC3-Beton nicht ideal, da die Ausschalfristen noch zu lang sind und wir bei uns auch wenig Tonvorkommen haben. In Indien, wo dieser Beton nun vermehrt eingesetzt wird, macht er aber durchaus Sinn. Wir selbst produzieren Elemente aus Recyclingbeton oder fertigen Steine aus Lehmbeton und machen mit dem sogenannten Terrabloc gute Erfahrungen.

Zum Schluss die Frage: Sie sind Teil einer grossen Betonfamilie, drei Onkel und zwei Cousinen sind im Unternehmen aktiv. Ist das Thema Beton bei einem Familientreffen Allgegenwärtig?
Tatsächlich fliesst bei uns Beton durch die Adern. Bei Familienfesten haben allerdings auch sehr viele andere Themen Platz. Wir sind gesellig und vielseitig interessiert. Von Musik über Politik und Technik bis hin zu Astronomie oder Historischem. Wir sind alles, ausser Betonköpfe.   

Zur Person

Hendrix Müller (Jahrgang 1978) ist Verwaltungsrat der familiengeführten Luzerner MÜLLER-STEINAG Gruppe und Geschäftsführer des Produktionsstandortes Rickenbach/LU, wo er auch wohnt. Der dreifache Familienvater ist in der Freizeit oft in der Natur und in den Bergen anzutreffen und betreibt gerne Ausdauersport.

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