In Balance mit Beton

Parkour: Ein urbaner Trendsport als Lebensschule

Wer Parkour-Athlet:innen erblickt, ist sofort begeistert. Ihre Mischung aus Stunts, Zirkusakrobatik, Action, Breakdance und Extremsport im urbanen Raum bringt einen zum Staunen. Die sogenannten Traceurs legen ihre Spur gekonnt über alles, was für Normalsterbliche unüberwindbar erscheint: Wände, Stufen, Schächte, Geländer, Treppen – oftmals sind es Elemente aus Beton.

Der Schweizer Parkour-Pionier Roger Widmer schätzt Bauten aus Beton als Landschaft, die zum Bewegen einlädt.

Entstanden ist die Sportart Parkour vor rund 20 Jahren in Frankreich. In der Schweiz und in Deutschland ist mit ParkourONE eine Gruppierung mit eigener Academy entstanden. Das Team von BETONSUISSE konnte Roger Widmer, einem der Pioniere und dem Inhaber und Gründer von ParkourONE, einige Fragen stellen.

Roger Widmer, es heisst, Parkour sei mehr als bloss ein Sport. Wie siehst du das?

Für mich ist es definitiv mehr als ein Sport. Parkour ist eine Lebensschule. Parkour basiert auf Werten und schult Kompetenzen, die man ein Leben lang brauchen kann. Zum Beispiel, dass es immer einen Weg gibt. Oder dass Solidarität wichtig ist. Du lernst Entscheidungsfreudigkeit, Selbsteinschätzung und den Umgang mit Herausforderungen, Risiko und Angst.

Wie ist Parkour in die Schweiz gekommen?

Ich hatte Anfang 2000 einen Beitrag im Fernsehen gesehen. Man sah, wie David Belle, der Wegbereiter dieser Sportart, über ein Geländer springt. Ich wusste sofort: Das ist es. Das will ich tun. Es sah so leicht und elegant aus. Ich begann mit meinen Freunden mit den ersten Sprüngen in Münsingen, meinem Heimatort. Wir gründeten erst die Gruppe PkM (Parkour Münsingen), später ParkourONE Schweiz. 2005 reisten wir nach Frankreich, um David Belle kennenzulernen. 2006 eröffneten wir in Münsingen das erste regelmässige Trainingsprogramm weltweit. Dank Parkour-Szenen bei «James Bond» und in einem Video von Madonna gab es ein grosses Medien-Echo. Parkour wurde bekannter und dies ermöglichte es uns, aus dem Hobby einen Beruf zu machen.

Ihr trainiert offenbar viel und bereitet jeden Move genau vor. Geht ihr auch spontan los und schaut, wo ihr landet?
Ja und nein. Alles beginnt bei der Vorbereitung und dem Training, das ganzheitlich angelegt ist. Dabei ist Repetition der Schlüssel. Man trainiert Schritt für Schritt, Hand in Hand. Ich mache keinen Sprung, ohne mir den Konsequenzen bewusst zu sein.

Welches Material magst du am liebsten, Beton, Ziegel, Sandstein oder Holz?
Beton ist ein grosser gemeinsamer Nenner. Auf Beton ist Verlass, er ist ein ehrliches Gegenüber. Ich kenne die Oberflächen sowie die Art der Verwitterung. Beton ist roh, direkt, ästhetisch. Wenn ich Beton sehe, weiss ich sofort, wie er sich anfühlt und ob es «hebt» oder nicht. Beton verzeiht aber auch nicht. Das merkt das Schienbein ziemlich schnell. Was ich gar nicht mag, sind die Pseudowände, die hinter dem Verputz hohl sind und die so tun, als wären sie solide.

Was denkst du, wenn du den Begriff «Beton» und «zugebaute Räume» hörst?
Möglichkeiten! Umgestaltung! Leere Leinwand! Da gibt es neue Chancen, tolle Begegnungen. Da steckt Bewegung und Kultur drin. Hier kann ich mich einbringen. Mir gefallen die urbanen Betonlandschaften sehr. Ich wohne selbst in einer Bauhaus-Siedlung mit viel Sichtbeton.

Was macht Parkour so viel besser als jede andere Sportart?
Besser ist natürlich relativ. Wir mögen, dass Parkour nicht kompetitiv ist. Es geht nicht darum, wer mehr Tore schiesst oder Punkte macht. Parkour ist multidimensionales Lernen. Es ist physisch, psychisch, emotional, sozial und sensorisch dauerwirksam. Da gehören Lebensschule, Charakterbildung und sportlich gesehen Bouldern, Weitsprung, Hochsprung, Akrobatik und vieles mehr dazu.

Wer kann bei euch trainieren?
Grundsätzlich wollen wir Jugendliche und Erwachsene zusammen unterrichten. Das Teilen von Lebenserfahrung, egal vom Alter, ist wichtig und kommt super an. Dann gibt es Kurse für 3 bis 6 Jahre alte Kinder, für solche von 6 bis 12, dann 12+ und 18+. Und wir heissen auch 60+ willkommen. Wir sind offen für alle.

Dein Tipp für alle, die neu mit Parkour beginnen?
Unbedingt eine Probelektion besuchen! Dann Freude an kleinen Schritten entwickeln. Ins Handeln kommen. Tun! Keine Angst vor Fehlern und vorm Scheitern haben. Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.

Hier geht es zum ausführlichen Interview mit Roger Widmer.

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