
Das Ziel ist ambitioniert: Bis 2037 will der Kanton Basel-Stadt klimaneutral sein. Weil der Bausektor viel CO₂ verursacht, setzt die Regierung auch hier den Hebel an und fördert das kreislauffähige Bauen. Der Kanton geht selbst mit gutem Beispiel voran. Unter anderem im Norden der Stadt Basel. Dort wird mit dem Bebauungsplan Volta Nord auf dem ehemaligen Industrie- und Gewerbeareal, das auch als Lysbüchel-Areal bekannt ist, das Quartier St. Johann um Wohnraum für 2000 Menschen und 2500 Arbeitsplätze erweitert. Mehrere Gebäude wurden dort bereits umgenutzt: Aus einem Lagergebäude aus den 1950er-Jahren entstand ein Schulhaus; aus zwei Gebäuden, die in der Vergangenheit von Coop genutzt wurden, ein Kultur- und Gewerbehaus.
Das LKW-Parkhaus von Coop muss aufgrund des Bebauungsplans einer Wohnbebauung von Genossenschaften und dem begrünten Lysbüchelplatz weichen. Aber es ergab sich eine alternative Nutzungsmöglichkeit. Statt für einen konventionellen Abbruch entschied sich Immobilien Basel-Stadt (IBS), die für das Management der kantonalen Immobilien zuständig sind, für eine innovative Lösung: IBS liess die Bauteile vermessen, untersuchen und katalogisieren. Diesen Katalog stellten sie dann im Rahmen zweier Projektwettbewerbe den teilnehmenden Architekturbüros zur Verfügung.
Neu bauen mit alten Elementen
Das Wiederverbauen von Occasionselementen ist anspruchsvoll – erst recht, wenn es um so riesige Teile geht. «Mit bestehenden Elementen etwas Neues konstruieren war eine reizvolle Ausgangslage. Neben den ökologischen Zielen des Projekts bieten sich auch architektonisch interessante Herausforderungen und Möglichkeiten. Es können Elemente verwendet werden, die im Wohnungsbau sonst nicht anzutreffen sind. Das ergibt spannende Räumlichkeiten», sagt Silvan Muff vom Zürcher Architekturbüro Solanellas Van Noten Meister (svnm). Am Schliengerweg in Basel wird ihr Entwurf für ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen für Grossfamilien und zwei Kindergärten umgesetzt. Dafür verwenden sie Stützen, Unterzüge und Rippendeckenelemente aus dem ehemaligen Coop-LKW-Parkhaus. Aus anderen Rückbauprojekten kommen Fassadenelemente und Geländer.
Im Gegensatz zu neuen Standardelementen aus dem Betonwerk gibt es bei den gebrauchten Elementen Abweichungen – bedingt durch die Nutzung und den Zuschnitt. «Wir mussten darum definieren, wie viel Toleranz wir bezüglich Masse und Qualität haben», sagt Silvan Muff. Darum setzten sich beide Seiten – also das Architektur- und das Rückbauteam – bereits frühzeitig intensiv mit den Elementen auseinander und tauschten sich darüber aus, was technisch machbar, ästhetisch wünschenswert und von den Abläufen her sinnvoll ist. Obwohl das Mehrfamilienhaus fast ausschliesslich aus Re-Use-Teilen besteht und die Herausforderungen ähnlich sind wie bei einem Umbau, ist das Gebäude grundsätzlich einem Neubau gleichgesetzt.
Eine weitere Herausforderung: Das Team von svnm musste schon sehr früh im Prozess die passenden Elemente auswählen und beispielsweise zusammen mit den Fachspezialisten des Rückbaus entscheiden, ob die Elemente mit Gurten oder mit fixen Verankerungen herausgehoben werden, was die Ästhetik und die späteren Wiederverwendungsmöglichkeiten der Elemente beeinflusst. «Das waren grosse Entscheidungen», sagt der Architekt.






Frischekur für alte Elemente
Christoph Zeltner ist Fachexperte Kreislaufwirtschaft bei CSD Ingenieure AG. Der Werkstoff-Ingenieur begleitet den Rückbau des LKW-Parkhauses: «Dieses Projekt ist ein Highlight für mich, da wir das Konzept der Kreislaufwirtschaft weiter konkretisieren können.»
Das 1970 erbaute Parkhaus besteht aus sehr grossen Betonelementen. Die Deckenelemente beispielsweise sind 1,5 Meter breit, im Auflagebereich 50 Zentimeter hoch und zwischen 5,5 und 9 Tonnen schwer. Die Demontage ist komplex, da die Elemente schonend und als Ganzes ausgebaut werden müssen. Trotzdem sei das Gebäude gut geeignet für das Re-Use-Konzept, weil der damals verwendete «Baukasten-Satz» übersichtlich sei, sagt Christoph Zeltner: «Das Parkhaus besteht nur aus Deckenelementen, Unterzügen und Stützen. Das vereinfacht den Rückbau und insbesondere auch die statische Überprüfung.»
Herausforderungen bleiben aber auch dann noch genug. Für den Ausbau der Elemente wurden in Versuchsreihen verschiedene Verfahren ausprobiert und stetig weiter verfeinert. Weil das Parkhaus gewisse Toleranzen aufweist – einige Säulen stehen leicht schief und Platten sind teilweise verschoben – muss das Anzeichnen und Herausschneiden der einzelnen Elemente mit grosser Sorgfalt erfolgen. Weil auch der Boden uneben ist, müssen die Schienen für den Schneidapparat genau justiert werden. «Ohne Wasserwaage geht gar nichts», sagt Christoph Zeltner und lacht. Aus Rücksicht auf die Anwohnenden wird ausserdem mit speziellen Silent-Blättern geschnitten – und immer hinter Lärmschutzwänden. Einmal pro Woche werden die ausgebauten Betonelemente zum Lagerplatz transportiert. Bis zum Ende der Demontage – voraussichtlich Ende 2025 – sind dafür etwa 350 Lastwagenfahrten nötig.
Ausserdem müssen die Elemente von Schadstoffen befreit und saniert werden. «1600 asbesthaltige Rohre mussten entfernt werden», sagt Christoph Zeltner. Weiter nennt er die Ölflecke, die es auf einigen der Parkfelder gibt. Diese sind nicht nur optisch ein Problem, sondern können auch der Gesundheit schaden. Anfang 2024 wurden daher verschiedene Reinigungsmethoden ausprobiert. «Das Abfräsen wurde wieder verworfen, weil die Platten dann nicht mehr eben waren und sich die Qualität der Elemente verminderte», erklärt der Spezialist. Am Ende zeigte die Kombination aus Reinigungsmittel, heissem Wasser und Hochdruck die besten Resultate. Und was ist mit dem Geruch? Um diese Emissionen zu messen, wurden beheizbare Zelte über die zwei hartnäckigsten Flecken gestellt. «Nach der Reinigung erfüllt jedes Element die Vorgaben der Gesetzgebung. Weil es auf dem Beton einen Bodenaufbau gibt, können die Elemente ohne Bedenken in Wohnräumen eingesetzt werden», erklärt Christoph Zeltner.
Bleibt die Frage, wie viel CO₂ mit der Weiterverwendung der Betonelemente eingespart werden kann. «Demontage und Aufbereitung der Betonelemente benötigen ähnlich viel CO₂, wie für Abbruch und Aufbereitung zu Betongranulat angefallen wäre», zieht der Fachexperte für Kreislaufwirtschaft eine erste Bilanz. Damit ist der CO₂ -Fussabdruck der bereitgestellten Re-Use-Betonteile sehr klein. Zur Ermittlung der gesamten Einsparung wird der Nutzen der Teile quantifiziert und der Aufwand für Einbau, Demontage und Aufbereitung davon abgezogen. Diese Bilanzierung erfolgt im Rahmen des Baus der Wohngebäude.


Flexibel denken, planen und bauen
Auch die Architektinnen und Architekten von svnm haben aus dem Rückbauprojekt erste spannende Erkenntnisse erhalten. Sie haben gesehen, dass vergossene oder geklebte Elemente im Rückbau schwierig sind. «Uns interessierte darum, wie etwas konstruiert sein muss, damit eine zukünftige Wiederverwendung möglich ist», sagt Silvan Muff. Das von svnm konzipierte Mehrfamilienhaus für Grossfamilien zeichnet sich aus diesem Grund durch flexible Grundrisse aus, die je nach Familienkonstellation angepasst werden können. «Diese Art von Bauen lässt Veränderungen zu und ist somit langlebiger», ergänzt der Architekt.
Dank dem Re-Use-Konzept, das Bauherrschaft, Rückbauer und Architekturbüro gemeinsam verfolgen, wird auch das Leben der Betonelemente verlängert. Nach 55 Jahren in einem Parkhaus stehen sie schon bald in einem Wohnraum. So erhalten die Elemente eine neue Bedeutung, sagt Silvan Muff: «Sie stammen aus den 1970er-Jahren, in denen der ökologische Gedanke kaum präsent war. Und nun werden sie Teil eines nachhaltigen Wohngebäudes.» Ein schöner Wandel.