Weisser Turm von Mulegns

Ein Turm aus dem 3D-Drucker

Weniger Beton, dafür mehr computergestützte Planung und digitale Fabrikation – dieses Ziel verfolgt das Projekt Weisser Turm im bündnerischen Mulegns. Die Bauherrin, die Kulturstiftung Nova Fundaziun Origen, hat sich hierfür mit der ETH Zürich zusammengetan. An einer Präsentation haben die Verantwortlichen Ende Mai 2023 über den aktuellen Stand und das weitere Vorgehen informiert.

Der Weisse Turm von Mulegns fasziniert, obwohl es ihn noch nicht gibt. Das Aussergewöhnliche an ihm ist, dass er per 3D-Druckverfahren hergestellt wird. Mit über 23 Metern ist diese Kulturstätte schon bald eines der höchsten 3D-gedruckten Bauwerke der Welt. Hinter dem Projekt stehen die Nova Fundaziun Origen sowie die ETH Zürich. Die 2005 von Giovanni Netzer gegründete Stiftung aus dem Kanton Graubünden ist Bauherrin und wird künftig die Bespielung des Turmes gewährleisten. Die Architekten Benjamin Dillenburger und Michael Hansmeyer aus der Forschungsgruppe Digitale Bautechnologien der ETH leiten die Planung des Bauwerks sowie Produktion der dünnwandigen, hohlen Bestandteile aus weissem Beton.

«Neues Wissen
entsteht oft dort, wo sich unterschiedliche Disziplinen treffen.»

Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung, ETH Zürich

Die Vorarbeiten für den Weissen Turm laufen seit 2021. Unterdessen ist das architektonische Design des Turms vollendet und das Baugesuch eingereicht. Ende Mai 2023 präsentierten die Verantwortlichen an der ETH auf dem Campus Hönggerberg den Zeitplan für das weitere Vorgehen. Dieser sieht so aus: Die einzelnen Bauteile werden im Herbst 2023 an der ETH gedruckt. Zusammengesetzt werden sie im Verlauf des Winters 2023/24 in Graubünden. Sobald im nächsten Frühling der Schnee gewichen ist, kann der Turm in Mulegns aufgebaut werden. Die Voraussetzung dafür ist eine definitive Baubewilligung und eine abgeschlossene Finanzierung, wie der Website der Bauherrin zu entnehmen ist.

Bereits in einer Berichterstattung zu Beginn des Turm-Projekts hat die ETH darauf hingewiesen, dass sie mit dieser Zusammenarbeit die Brücke zwischen Kultur, Forschung und Technologieentwicklung stärken möchte. Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung der ETH Zürich, machte deutlich: «Neues Wissen entsteht oft dort, wo sich unterschiedliche Disziplinen treffen.»

 

Eine materialsparende, effiziente Innovation

Die Fachleute haben die Struktur des Turms mit einer an der ETH entwickelten Software entworfen. Wie Benjamin Dillenburger im Dezember 2022 gegenüber der NZZ erklärte, ermöglicht das Computerprogramm eine genaue Definition der Geometrie, und es kann die erforderlichen Daten direkt an die Druckroboter senden. Benjamin Dillenburger sagte: «Mit Hilfe der neuartigen Technologie muss der Beton gezielt nur dort aufgetragen werden, wo er tatsächlich benötigt wird.» So werde die Masse reduziert, was nachhaltig ist.

Wie die Verantwortlichen mitteilen, ist eine solche digitale Fertigungstechnik eine Innovation im Bauwesen. Die Herstellung mit Robotern benötigt im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren nur die Hälfte des Betons. Bei der sogenannten additiven Fertigung wird der Beton nämlich nicht wie üblich gegossen, sondern in Bahnen aufgetragen. Diese Schichten sind nur wenige Millimeter dünn. Das Material ist so weich, dass es sich homogen verbinden kann, und es härtet genügend rasch aus, um die nächsten Schichten tragen zu können. So lassen sich massgeschneiderte Teile unter wettergeschützten Bedingungen äusserst effizient, exakt und in höchster Qualität herstellen. Eine Schalung braucht es nicht. Auf einer klassischen Baustelle wäre das undenkbar.

«Das Projekt wird den Kanton Graubünden architektonisch und kulturell profilieren und uns international als digitalen Pionier positionieren.»

Nova Fundaziun Origen, Bauherrin

 Finanzierung dank Beiträgen und Spenden

Gemäss Angaben der Nova Fundaziun Origen belaufen sich die Herstellungskosten des Weissen Turms auf insgesamt 4,1 Millionen Franken – die Sanierung des tragenden Sockels sowie die vorgeschriebenen Parkplätze sind einberechnet. Um die Kosten zu stemmen, setzt die Bauherrin auf Beiträge der öffentlichen Hand, auf Stiftungen sowie auf private Donatoren, welche einzelne Säulen für den Turm stiften können. Der Turm wird schliesslich vier Stockwerke mit je acht Säulen umfassen. Die Dachkonstruktion besteht aus einem zentralen, gewölbten Dach und acht filigranen Kuppelträgern.

Die Nova Fundaziun Origen verwies an ihrer Infoveranstaltung auch auf den Nutzen des Turms für die Region: «Das Projekt wird den Kanton Graubünden architektonisch und kulturell profilieren und uns international als digitalen Pionier positionieren. Im Val Surses wird es signifikant zur Belebung des Dorfes Mulegns und zum Schaffen neuer Arbeitsplätze beitragen.» Zudem werde die einheimische Bauindustrie wird mit spannenden Aufträgen und fundamentalem Know-How gefördert.

Gestaltung erinnert an Kunst der Zuckerbäcker

Beim Weissen Turm handelt es sich nicht nur bezüglich Bauweise, sondern auch optisch um etwas Neuartiges. In der Mitteilung der Bauherrin heisst es dazu: «Die robotische Fertigung erzeugt eine kraftvolle organische Ästhetik. Die sich windenden Säulen verdeutlichen die Virtuosität der Statik. Eine semitransparente, weich fliessende Membran erlaubt die Winterbespielung des Turmes. Im Sommer gewährt er freie Sicht auf die felsige Landschaft, die Mulegns umgibt.»

Diese poetisch anmutenden Worte passen zum Zweck, den der Turm dereinst erfüllen wird. Er soll nämlich als Konzerthaus, Kunstinstallation, Aussichtsturm, Theaterkulisse und Denkmal dienen. Laut Angaben der Nova Fundaziun Origen erinnert seine Gestaltung an die Bündner Zuckerbäcker, die einst die Welt bereisten und ihr Können unter Beweis stellten.

Facebook
LinkedIn
Twitter
E-Mail