Optimierte Betonrezepturen

KI macht den Beton grüner

Wenn wir die CO2-Emissionen bei der Betonherstellung dauerhaft senken wollen, müssen wir auf vielen Ebenen ansetzen – unter anderem beim Zement. Die Fachhochschule OST hat gemeinsam mit dem Software-Service-Provider Dorner ASP Algorithmen entwickelt, die neue Betonrezepturen mit weniger Zementanteil errechnen. OptimiX kommt ab Anfang 2024 bei den ersten Betonherstellern zum Einsatz.

Simone Stürwald, Professorin für Bauingenieurwesen an der Fachhochschule OST, forscht an der Optimierung von Betonrezepturen.

Jährlich wird weltweit ein Betonvolumen produziert, das ungefähr dem des Mount Everest entspricht. Der Baustoff ist und bleibt aufgrund seiner hervorragenden Eigenschaften einer der beliebtesten Baustoffe der Welt. Das Problem: Die hohen CO2-Emissionen. Sie entstehen zu einem grossen Teil während der Herstellung des Zements. «95 Prozent des CO2-Fussabdrucks von Beton entstehen bei der Produktion von Klinker – zum einen durch den Energieverbrauch der Brennöfen, aber vor allem durch den Austritt von CO2 aus dem Kalkstein», erklärt Simone Stürwald, Professorin für Bauningenieurwesen an der Fachhochschule OST in Rapperswil SG.

Deshalb auf Beton verzichten will jedoch niemand. «Gerade hierzulande gibt es für viele Bauten nach wie vor keinen guten alternativen Baustoff», sagt die Professorin. «Für Infrastrukturbauten wie Brücken oder Tunnel ist Beton nach wie vor der beste Baustoff, genauso wie für Untergeschosse, die man in der Schweiz aufgrund des knappen Platzes gern baut.» Die Devise der Branche lautet darum: den Zementanteil in der Mixtur reduzieren. Die  Fachhochschule OST liefert dazu wichtige Ergebnisse.

Hohe Qualität mit weniger Zement

Simone Stürwald überlegte zusammen mit Studierenden in Projektstudien, wie sich in den Betonmischungen der Einsatz von Zement verringern lässt. Eine Lösung: die Packungsdichte erhöhen. Durch die Optimierung der Sieblinie und die Zugabe von Zusatzstoffen können Hohlräume und damit der Zementanteil minimiert werden. «Der Verbrauch fiel so in der Studie von 308 Kilogramm Zement pro Kubikmeter auf 170 Kilogramm», sagt Simone Stürwald. «Die Qualität blieb auf hohem Niveau erhalten.»

«Wir können Daten aus 500 Betonwerken und mehreren Jahren nutzen.»

Markus Durot, CEO,
Dorner ASP

Das Timing für die Versuche ist gut. Bisher schreibt die nationale Norm SN EN 206-1 eine Mindestmenge von 280 bis 320 Kilogramm Zement pro Kubikmeter Beton vor. Diese Vorgabe soll demnächst mit der Einführung leistungsbezogener Entwurfsverfahren fallen. Zudem können bald weitere Zusatzstoffe gemäss SIA 215/2 zertifiziert werden. «Das vergrössert das Feld immens, wie Beton gemischt werden kann», sagt Simone Stürwald.

Das Wissen steckt in den Daten

Die Professorin ging deshalb dazu über, die Berechnung neuer Rezepturen mathematisch und auf der Grundlage von Daten, anstatt durch praktisches Ausprobieren anzupacken. Ein Vorversuch mit ihren OST-Kolleginnen und -Kollegen vom Standort Buchs SG verlief erfolgreich. Also machte sich Simone Stürwald auf die Suche nach einem Industriepartner – und fand ihn mit der Dorner ASP AG in Heerbrugg.

Dorner ASP stellt seit über 20 Jahren Software-Services für Betonhersteller, vorwiegend im DACH-Markt, bereit – im Speziellen zur Sicherung der Betonqualität. Betonwerke werden so, meist im Zusammenspiel mit Produktionssteuerungen des Schwesterunternehmens Dorner Electronic aus Egg im Vorarlberg, überwacht. Mit diesem Mix aus Branchenwissen, Marktverbreitung, Mathematik- und KI-Expertise konzipierten die Beteiligten eine Lösung, mit der sie Betonmixturen optimieren können – sie heisst OptimiX.

Basis von OptimiX ist ein grosses Datenvolumen, das anonymisiert ist und aus zwei Quellen entspringt: Labordaten aus den Betonprüfungen sowie Produktionsdaten, die bei der Herstellung jeder einzelnen Beton-Charge anfallen. «Das sind Daten aus 500 Betonwerken und mehreren Jahren», erklärt Markus Durot, CEO der Dorner ASP.

Weiterentwicklung dank KI

Mit den erhobenen Daten füttern die Software-Entwickler und das Team um Simone Stürwald entsprechende KI-Modelle und Algorithmen. Auf diese Art lernt das System ständig dazu und kann Vorhersagen zu den Eigenschaften von Betonmischungen treffen. «Mit den Simulationen umgehen wir das aufwändige Trial-und-Error-Verfahren», erklärt Simone Stürwald. «Die Betonwerke können so leichter neue Rezepturen entwickeln und anpassen – gerade auch unter Verwendung neuer, teilweise rezyklierter Ausgangsstoffe.»

«Zementarmer Beton ist nicht nur nachhaltig, sondern auch kostengünstiger.»

Simone Stürwald, Professorin für Bauingenieurwesen,
Fachhochschule OST

OptimiX entsteht nach den Prinzipien agiler Software-Entwicklung. Nach und nach werden neue Funktionen ausgerollt und mittels Kundenfeedback verbessert. «OptimiX wird deshalb nie fertig sein, sondern sich laufend weiterentwickeln», sagt CCO Andreas Dorner. Bereits Anfang 2024 soll eine erste Version an Kunden der Dorner ASP gehen.
Im ersten Schritt wird mit AI-gestützten Prognosen gearbeitet, um das Ergebnis auf Basis der Rezeptur zu sehen. Im zweiten Schritt wird der Ablauf so automatisiert, dass das System zu jeweils vorgegebenen Betoneigenschaften ein optimiertes Rezept anbietet.

«Wenn wir es schaffen, dass der Zementverbrauch in Betonwerken um 20 Prozent zurückgeht, haben wir schon viel erreicht», sagt Simone Stürwald. Sie ergänzt: «Am Schluss ist es nicht nur eine Frage der Ökologie, sondern auch der Ökonomie. Zementarmer Beton ist nicht nur nachhaltig, sondern auch kostengünstiger.»

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